Katzendaemmerung
wie gebannt auf die hohen Wände des Raums. Kostbar bestickte Gobelins mit ägyptischen Symbolen ließen die Kammer zu einem überdimensionalen Schmuck-Kästchen werden. Besonders faszinierte mich die dem Eingang gegenüberliegende Wand. In einer Lücke zwischen zwei Ständern hindurchspähend, erkannte ich zuerst nur einen großen schwarzen Fleck, um den sich feingliedrige Hieroglyphen anordneten. Als ich mich näherte, bekam der unförmige, schwarze Kreis plötzlich eine Bedeutung. Verblüfft stellte ich fest, dass es sich um die Schattenrisse zweier Katzenwesen handelte. Der Kopf einer Hauskatze blickte nach links, derjenige einer Löwin nach rechts. In der Mitte verschwammen beide Köpfe in einer gemeinsamen schwarzen Masse. Sie waren eins; “Bastet und Sachmet“. Die zwei Gesichter eines Gott-Wesens.
Mich verwunderte vor allem aber die künstlerische Ausführung des Bildes. Während ägyptische Zeichner und Maler bei allen anderen mir zwischenzeitlich bekannten Darstellungen von Katzen akribisch genau Augen, Schnauze und Maul des Tieres betont hatten, war auf dem Wandteppich mit einer schon fast brutalen Einfachheit vorgegangen worden. Flache Schatten, deren klare Konturen aber dennoch (oder vielleicht gerade deswegen?) eine bedrohliche, Ehrfurcht gebietende Wirkung erzeugten.
Ich grübelte noch über diesen offensichtlichen Stilbruch nach, als sich der Löwenkopf plötzlich zu mir umdrehte. Der Effekt war so täuschend echt, dass ich vor Schreck nach hinten zwischen Mäntel und Abendkleider auswich. Als der Kopf wieder zurückschwang, sah ich, dass sich nicht etwa der Löwe, sondern der gesamte Gobelin bewegt hatte. Ein leichter Windstoß von der Tür her mochte die Ursache gewesen sein.
Neugierig wagte ich mich näher und betastete vorsichtig den seidenen Stoff. Als ich meinen Druck ein wenig verstärkte, beulte sich der Teppich unerwartet weit nach innen. Von einer Wand war nichts zu spüren. Nervös atmete ich tief durch. Du hast es endlich entdeckt!, zog ich mich selbst auf. Tutanchamuns sagenumwobenes Badezimmer.
Vorsichtig lüpfte ich den Teppich; dahinter setzte sich das Zimmer in nahezu doppeltem Umfang weiter fort. Der vermeintliche Wandschmuck erfüllte lediglich die Funktion eines Raumteilers. Ich entdeckte einen weiteren Schalter, und augenblicklich zerstörte das Licht profaner Neonröhren die Atmosphäre einer antiken Grabstätte. Grabstätte? Ich hatte Bastets Schatzkammer entdeckt!
Von überallher schien mir pures Gold entgegen zu blitzen. Ehrfürchtig trat ich ein. In überwältigender Fülle türmten sich Vasen, Truhen, Statuen und Salbgefäße bis zur Decke. Als ich die auf kunstvoll geschnitzten Tischen ausgebreiteten Amulette bewunderte, erkannte ich einige der Stücke sofort wieder. Bei der Sarx-Zeremonie hatten sie mir gute Dienste geleistet. Angesichts der funkelnden Skarabäen und Falken fühlte ich fast automatisch über meine linke Hand. Achs Geschenk saß noch immer auf meinem Finger. Nachdenklich betrachtete ich den schmalen Goldring mit dem Horus-Falken. Ich versuchte, ihn spielerisch zu drehen, doch dazu saß er zu fest. Seltsam , dachte ich, ich hatte ganz vergessen, dass ich den Schen noch trug.
Ein schwacher Duft von Kyphi, jenem seltsamen Weihrauchgemisch, lag in der Luft. War ich hier etwa im Zentrum ihres Tempels?, fragte ich mich. In Bastets Sanktuarium? Zahlreiche Kerzen auf hohen, massiven Gold- und Kupferständern bewiesen, dass an diesem Ort nicht immer ein künstliches Neonlicht brannte. Schon immer musste Bastet hier ihre geheimen Zeremonien abgehalten haben. Vielleicht , so kam es mir in den Sinn, war dies sogar geschehen, während ich ahnungslos nebenan im Büro gearbeitet hatte. Meine Geliebte hatte sich mit Bedacht in einer alten Fabrikhalle einquartiert; dies hier war keine Wohnung, sondern ein verwirrendes Labyrinth.
Nachdem ich mich vorsichtig zwischen mächtigen Vasen, einer mit Goldblechen verkleideten Truhe und einer kleinen Bootsnachbildung – einer vielleicht eineinhalb Meter langen, geschwungenen Barke mit höchst detailreichen Einzelheiten wie Kajütenaufbau und Rudergestänge – hindurchgezwängt hatte, befand ich mich plötzlich in einer fast kreisrunden Mini-Arena. Lediglich ein einzelner Stuhl stand in ihrer Mitte.
Unschwer erkannte ich in dem hochlehnigen, auf Löwentatzen ruhenden Sessel Bastets Thron; genau dort hatte sich ihr Geist mit einem neuen Körper vereint. Mit meiner Hilfe , rief ich mir in Erinnerung. Eigentlich konnte ich es
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