Katzendaemmerung
nahe bei Zagazig (der Hauptstadt der Provinz Sharqiya) im Südosten des Deltas, am rechten Ufer des alten tanitischen Nilarms. Bubastis war die Metropole des 18. unterägyptischen Gaues – des so genannten ›Königskindgaus‹ – und zur Zeit der 22. Dynastie sogar Reichshauptstadt.
Seine wahre Bedeutung erlangte die Stadt aber vor allem als Zentrum des Bastet-Kultes. Die Verehrung der göttlichen Katze reichte allerdings auch weit bis in den Süden des Landes. Knapp zweihundertfünfzig Meilen den Nil hinauf bei Beni Hassan fanden sich ebenfalls Hunderttausende von Katzenmumien. Und was geschah mit jenen Relikten des Tier-Kultes? Unbedarfte Fellachen verarbeiteten dieses jahrhundertealte Erbe einfach zu Dünger!
Zu Hochmut und Überheblichkeit meinerseits besteht allerdings keine Veranlassung: Vor nicht einmal einem Jahr brachten zwei Kaufleute aus England für den gleichen pietätlosen Zweck ganze Schiffsladungen menschlicher Mumien auf die Insel. Für achtzehn Pfund Sterling die Tonne! Die Profitgier unserer doch so zivilisierten Welt macht wirklich vor nichts Halt.
Wir Amerikaner sind ebenfalls nicht besser, verwenden wir doch tatsächlich die Mumienbinden für unsere Papierherstellung. Das muss man sich nur einmal vorstellen: Packpapier aus Mumienbinden! Dummheit und geldgieriger Vandalismus, wohin das Auge nur blickt.
Die ›Ägyptische Forschungsgesellschaft‹ ist in dieser betrüblichen Zeit eine Art Feuerwehr, die verzweifelt versucht, die Zerstörung des prachtvollen Tempels ›Ägypten‹ zu verhindern. Doch es brennt bereits an Tausenden von Stellen lichterloh.
Mein Onkel hat allerdings noch einen anderen, wie ich meine, triftigeren Grund, um gerade nach Bubastis zu reisen. Vor etwa drei Jahren, auf einer kurzen Exkursion in diesem Gebiet, bei der er dem Schweizer Professor Edouard Naville assistierte, lernte er seine jetzige Frau kennen. Mrs. Attiya Peacham. Seinerzeit bot sie sich ihm als eine Art ›Dragoman‹ an, als sprachlichen Vermittler zwischen den Archäologen und den einheimischen Fellachen. Attiya war und ist in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Frau; obwohl sie nie eine richtige Schule besucht hat, beherrscht sie die englische Sprache nahezu perfekt. Auch Deutsch und Französisch bereiten ihr kaum Probleme. Sie sagt, sie habe es allein durch Zuhören erlernt. Eine schier unglaubliche autodidaktische Leistung!
Doch auch auf anderen Gebieten ist sie erstaunlich bewandert. Wenn ich gelegentlich in York mit meinem Onkel über die Bedeutung von Amuletten oder alten Schriften fachsimpelte, steuerte sie nicht selten äußerst fundierte Kommentare bei.
›Ich hatte halt einen guten Lehrmeister‹, begründet sie dann meist ihre erstaunliche Allgemeinbildung. Wie sie Onkel Norman erzählte, wurde sie als Vollwaise von einem koptischen Geistlichen adoptiert. Ihr Ziehvater war es dann auch, der sie derart intensiv mit Dingen wie Religion, Geschichte, Philosophie, aber auch Mathematik, Astronomie und Medizin vertraut machte. Nach seinem Tod übernahm Attiya auch die geistliche Führung der kleinen koptischen Gruppe ihres Dorfes. Eine derart selbstständige alleinstehende (sic!) Frau war aber selbst den ansonsten recht aufgeschlossenen Kopten unheimlich. Viele von ihnen besuchten von da an die Gottesdienste in Nachbarorten; nur ein winziger Kreis blieb Attiya erhalten.
Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich vor allem als Dorfschreiber und Dragoman für ausländische Touristen und Archäologen. Der Umda missbilligte Attiyas unweibliches Gebaren, aber dennoch duldete er sie. Trotz allem stellte sie eine Respektsperson für ihn da. ›Attiyas Intelligenz jagte dem Kerl wahrscheinlich eine Höllenangst ein‹, meinte Onkel Norm einmal lächelnd.
Wie dem auch sei, als sie meinem Onkel schließlich nach England folgte, hat sie den Abschied aus ihrer Heimat sicher nicht in tiefster Trauer erlebt.
Und doch bestand sie nun darauf, ihren Mann nach Ägypten zu begleiten. Eingedenk der Tatsache, dass die Expedition auf etwa ein halbes Jahr angesetzt ist, ein durchaus verständlicher Wunsch; keine junge Ehefrau möchte ihren Mann für so lange Zeit entbehren. Allerdings ist Mrs. Peacham seit etwa zwei Jahren auch Mutter, und was ich nicht begreife, ist, wie sie auch ihrem kleinen Töchterchen die sicherlich nicht unerheblichen Reisestrapazen aufbürden kann. Es hat aus diesem Grunde ganz gewiss so manche hitzige Debatte im Hause Peacham gegeben, letztendlich aber setzte sich doch die entschlossene
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