Katzendaemmerung
der Mittagssonne. Die Szenerie wirkte fast wie die erste Aufnahme meiner Foto-Serie. Das Bild einer unwirklichen, sengenden Wüste. Und doch stimmte etwas nicht mit dieser Gegend. Da war noch etwas. Etwas, was sich genau am Rande meines Blickfeldes versteckt hielt. Etwas Dunkles. Böses.
Obwohl die Temperaturen sicherlich auch in der Wohnung über 30 Grad C lagen, spürte ich, wie sich meine Arme und Beine mit einer Gänsehaut überzogen. Ich wollte die Augen schließen, doch dieses Etwas gestattete es mir nicht. Mit unsichtbarer Macht hielt es mich an meinem Platz fest und zwang mich zu sehen. Doch was gab es dort, das ich sehen sollte? Mein verzweifelt umherirrender Blick blieb schließlich an dem glitzernden Metallskelett des halbierten Busses hängen. Konnte es sein, dass ich dort eine Bewegung wahrgenommen hatte? Ich schaute genauer: verbeultes Blech, zersplitterte Scheiben, leere Radkästen, aber keine Spur von Leben.
Hatte mich vielleicht nur eine Reflexion irritiert? Nein, da war tatsächlich etwas, doch es versteckte sich. Es spürte, dass es beobachtet wurde. Tief im Schatten verborgen lauerte es auf Beute; ein böses, widernatürliches Wesen, das Tod und Verderben mit sich brachte.
Und dann sah ich es wieder. Dieses kurze Aufblitzen. Es war jedoch nicht auf polierten Lack oder Chrom zurückzuführen – das Blitzen kam direkt aus dem dunklen Inneren. Es waren Augen! Die bösen, hungrigen Augen des Wesens. Glitzernde, schwarze Sterne. Und sie starrten genau zu mir hinauf.
Ein heiserer Schrei riss mich aus dem Schlaf. Als ich mich schwitzend und mit pochendem Herzen im Sofa aufsetzte, spürte ich an meiner brennenden Kehle, dass ich es gewesen war, der geschrien hatte.
Na wunderbar , sagte ich mir, was bist du nur für ein großer Held, der sich vor zwei Augen fast in die Hose macht. Sollte ich meine Begegnung mit Ach vielleicht doch nicht so leicht verdaut haben, wie ich dachte?
Noch leicht benommen wankte ich zur Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Ich war verwirrt; ich konnte einfach nicht begreifen, warum mich der Traum derart geängstigt hatte. Während ich gierig trank, schob ich schon fast automatisch die Jalousie am Fenster zur Seite. Für einen kurzen Moment hatte ich das unheimliche Gefühl, der Traum habe noch gar nicht aufgehört, aber dann entdeckte ich doch einige Unterschiede. Lange Schatten lagen nun über dem Gelände. Es war mittlerweile später Nachmittag geworden; getupfte Flecken aus weichen Gelb- und Orangetönen verliehen den Ruinen nun einen freundlich verklärten Anstrich. Falls jemals etwas Bedrohliches von hier ausgegangen war, so hatte es sich längst wieder verflüchtigt. Selbst das Buswrack wirkte jetzt wie ein friedlich schlummernder Hofhund.
Träume , dachte ich seufzend. Verdammte Träume! Ich füllte mein Glas wieder auf und begab mich zurück ins Büro. Von Mia fehlte auch jetzt noch jede Spur. Höchstwahrscheinlich würde sich die Streunerin erst morgen oder übermorgen wieder in der Wohnung blicken lassen. Wer konnte das schon im Voraus mit Bestimmtheit sagen?
Seufzend schlurfte ich um den Schreibtisch herum und ließ mich schwer in meinen Sessel fallen. Was sollte ich mit dem Rest des Tages anfangen? Etwa arbeiten? Ich kicherte lautlos. Nein, sicherlich kein guter Gedanke.
Eher zufällig entdeckte ich das braune, abgeschabte Notizbuch. Warum nicht? Ich würde meine kreative Pause dazu nutzen, um meinen ach so grandiosen Fund etwas näher zu untersuchen. Vielleicht entdeckte ich ja ein exzellentes Kuchenrezept, für das mir NABISCO einen sechsstelligen Scheck überreichen würde. Ich lehnte mich entspannt zurück und schlug die Kladde auf. Schon auf der ersten Seite wurde mir klar, dass ich mich gleich zweifach getäuscht hatte: Das Buch war nicht von einer Frau verfasst worden. Und um ein Kochbuch handelte es sich schon gar nicht. Reisetagebuch von Julius William Blatchford , verkündeten blassblaue Buchstaben. Darunter las ich:
Wissenschaftliche Expedition nach Unterägypten
im Auftrage der ›Ägyptischen Forschungsgesellschaft‹
- 1891 -
im 55. Jahre Ihrer Regentschaft Königin Victorias
Das klang zumindest interessanter als: ›53 Arten einen Schokoladenkuchen zu backen‹. Neugierig blätterte ich weiter.
7. Januar: Ich kann es eigentlich immer noch nicht so recht glauben. Als wir heute, einen Tag nach Epiphania, mit unseren großen Kisten und Koffern in York den Zug bestiegen, war ich zuerst versucht, Onkel Norman eine gute
Weitere Kostenlose Bücher