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Katzendaemmerung

Katzendaemmerung

Titel: Katzendaemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Gordon Wolf
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wiedererkennen. Auch in ihren Augen glomm ein dunkles Feuer. Wenn man sich die hochgesteckten Haare noch gelöst vorstellte …
    Hör’ auf! , mahnte ich mich. Vor mir lagen Aufnahmen aus dem vorigen Jahrhundert. Wenn diese Menschen gewisse Ähnlichkeiten mit Personen des ausgehenden 20. Jahrhunderts aufwiesen, so war das nicht weiter verwunderlich. Schließlich waren sie Mias (Nataschas!) Vorfahren. Das kleine ernste Mädchen dort konnte demnach nur die Großmutter oder eher noch Urgroßmutter meiner Natascha sein.
    Ja , dachte ich, genau so muss es sein. Ich hängte das Bild zurück in Mias Zimmer und setzte meine Lektüre fort. Julius beschrieb, wie die Gruppe in Dover die Fähre nach Calais nahm und am frühen Morgen den Zug nach Marseille bestieg.
     
    8. Januar: Endlich haben wir es uns in unserem Abteil etwas bequem gemacht. Ich habe mir einen Fensterplatz ergattern können, aber viel gibt es nicht zu sehen. Aus einer tief hängenden Wolkendecke ergießen sich unaufhörlich eisige Graupelschauer über das Land. Ständig döse ich ein; letzte Nacht im ›Chez Le Vacher Peresseux‹ habe ich kaum ein Auge zugetan. Es lag allerdings nicht an den Betten des kleinen Gasthofes. Es ist das Reisefieber, das mich keine Ruhe finden lässt. Die erste größere Etappe liegt nun vor uns; knapp sechshundert Meilen bis hinunter nach Marseille. Ägypten ich komme!
    Onkel Norm hat sich für diese Route entschieden, weil sie deutlich preisgünstiger ist, als die direkte Dampferfahrt von Liverpool aus. Eine Fahrt in der ersten Klasse von Liverpool nach Alexandria kostet £ 60; wir dagegen begnügen uns mit der zweiten Klasse und nehmen erst in Marseille das Dampfschiff. Das Verladen des Gepäcks ist zwar eine oft leidige Angelegenheit, dafür aber müssen wir auch nur £ 14 pro Person entrichten, eine Ersparnis, bei der man ein wenig Mehrarbeit durchaus in Kauf nehmen kann. Zudem dürfte unsere Reise um fünf bis sechs Tage kürzer sein, als wenn wir erst über den Atlantik die gesamte Iberische Halbinsel umschiffen müssten.
    Die kleine Damiyat schlummert friedlich in den Armen ihrer Mutter. Bislang scheint sie die Reise nicht allzu sehr zu belasten. Hoffentlich bleibt es so.
    Das monotone, metallische Scheppern der Räder schläfert auch mich langsam ein. ›Warum eigentlich nicht?‹, denke ich mir. Die vergangene Nacht fordert nun ihren Tribut.
     
    9. Januar: Kurz nach Mittag lief unser Zug endlich im Bahnhof von Marseille ein. Das Wetter hatte sich gebessert, und zuweilen stahlen sich sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die dünnen Wolken. – Das Mittelmeer empfing uns zwar nicht mit sommerlichen Temperaturen, doch im Vergleich zu den feuchten vier Grad in York empfand ich die hier herrschenden 11 Grad geradezu wie eine sanfte Maibrise.
    Wir brachten unser Gepäck ins Hôtel de Rhône. Onkel Norm suchte daraufhin umgehend das Büro der Schifffahrtsgesellschaft am Hafen auf, um sich über die genaue Abfahrtszeit zu erkundigen. Wie man ihm mitteilte, wird das Lloyd Dampfschiff ›Bombay‹ wie geplant morgen um acht Uhr in der Frühe die Anker lichten. Gegen fünf Uhr dreißig wird das Einschiffen der Passagiere beginnen. Mich erwartet also erneut eine kurze Nacht.
    Nach einem kleinen Dinner habe ich mich auf mein Zimmer zurückgezogen. Ich werde noch etwas in einem meiner Lieblingsreiseführer lesen, in den Historien des Herodot von Halikarnassos. Schon Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. war Herodot der vermutlich erste Tourist, der Ägypten je besuchte. Obwohl seine detailreichen, lebhaften Schilderungen meist unzweifelhaft die damaligen Gegebenheiten wiedergeben, ist es doch auch amüsant, wie er zuweilen selbst die haarsträubendsten Märchen für bare Münze hält. Andererseits bezweifelt er Tatsachen, da sie ihm zu fantastisch klingen. Als ihm altägyptische Priester erklärten, die Nilschwemme sei auf eine Schneeschmelze zurückzuführen, weist er diese Behauptung weit von sich. Er schreibt: ›Denn was soll es heißen, dass der Nil aus geschmolzenem Schnee hervorfließe, kommt er doch aus Libyien, strömt mitten durch Äthiopien und dann nach Ägypten. Wie soll er also im Schnee entspringen, da er doch aus den heißesten Gegenden kommt und in wesentlich kühlere Länder fließt?‹ – Tja, so kann man sich irren.
    Damit ich jedoch nicht vollkommen in historisch-wissenschaftlichen Fakten ersticke, findet sich auch ein Roman unter all meinen Büchern. Nicht von ungefähr handelt er aber auch von Ägypten. Es ist

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