Katzendaemmerung
Expeditionen. Mutiger Mann , frotzelte ich, das ist der Geist, der Amerika groß gemacht hat.
Meine einzige Vorsichtsmaßnahme bestand darin, einen großen Bogen um Mias Kleiderkammer zu machen. Wie an der Höhle eines Grizzlys oder dem Lager eines Kannibalenstammes schlich ich mich jedes Mal vorsichtig daran vorbei. Andere Gefahren schienen in dem ansonsten doch recht übersichtlichen Dschungel nicht zu lauern.
Ich durchkämmte ein kleines Gästezimmer und zwei Räume, die in schon gewohnter Weise mit Plastiken und Relieffragmenten vollgestellt waren, aber nirgendwo fand ich etwas wirklich Persönliches. Erst kurz gegen Mittag stieß ich am Ende des linken Ganges auf eine schmale, unscheinbare Holztür. Zuerst nahm ich an, die Tür sei verschlossen, doch als ich stärker drückte, öffnete sie sich unter widerspenstigem Knarren. Grobkörniger Sand knirschte unter meinen Sohlen. Meine Hand suchte nach einem Schalter, doch auch nach mehrmaligem Abtasten der Wand konnte ich keinen entdecken. Das dürftige Licht vom Flur erhellte nur Spinnweben und undeutliche Konturen. Seufzend machte ich mich auf die Suche nach einer Taschenlampe. Als ich die ›MagLite‹ anknipste, fiel ihr Strahl zuerst auf Werkzeuge wie Spaten, Schaufeln und Spitzhacken, die an der Wand lehnten. An einem der Spaten klebte noch ein dunkler Klumpen Erde. Ich war mir sicher, damit die Grube für Joy ausgehoben zu haben.
Hinter den Grabungsutensilien erhob sich ein kaum überschaubarer Wust aus Kisten, Zeltplanen, Stiefeln, Antilopenköpfen, Speeren, Tropenhelmen, Flinten, Wasserflaschen und bunten Stoffen. Die dichten Spinnweben, die sich über den gesamten Berg spannten, ließen vermuten, dass schon seit langer Zeit niemand mehr eines dieser Stücke berührt hatte. Den Spaten einmal ausgenommen.
»Was hat es nun mit diesem Raum auf sich?«, fragte ich mich laut. Wem gehörten all diese verstaubten Dinge? Etwa Mia? Oder einem Mitglied ihrer angeblich so weit verzweigten Familie? Ich stöhnte. Wenn ich es erfahren wollte, würde ich mir wohl oder übel die Hände schmutzig machen müssen. Irgendwo in den Tiefen dieses Berges konnte die Antwort versteckt liegen.
Vorsichtig trug ich eine Schicht nach der anderen ab, immer auf die Gefahr hin, von einer nachrutschenden Lawine verschüttet zu werden. Ganze Nebelschwaden von Staub machten die Arbeit zu einer Tortur. Meine Augen brannten, und ich nieste wie bei einem starken Heuschnupfenanfall.
Stundenlang grub ich mich durch alte Kleider, Landkarten und Vermessungsinstrumente, aber keines der Dinge erzählte mir die Geschichte, die ich hören wollte; nur die, dass sie wohl alle aus einem früheren Jahrhundert stammten.
In einer Truhe, die randgefüllt war mit kakifarbenen Drillich-Hemden und -Hosen, stieß ich schließlich doch noch auf ein interessantes Objekt. Eingewickelt in einem stockfleckigen Leinentuch lag eine dünne Lederkladde auf dem Boden. Es musste sich um eine Art Notizbuch handeln; beim flüchtigen Durchblättern erkannte ich eine verblasste, aber akkurat gezirkelte Handschrift. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, ob mich der Fund weiterbringen würde; ich verspürte allerdings keine Lust mehr dazu, auch nur noch eine einzige Minute in diesem fossilen Gerümpel zu wühlen. Schluss jetzt!, sagte ich mir. Du bist schließlich Fotograf und kein Archäologe.
Bevor ich den Raum aber wieder verließ, bemühte ich mich trotzdem, die frühere (Un-) Ordnung wieder herzustellen. Wenn Mia nicht gerade ihre Wintersocken in einer der zahllosen Kisten verstaut hatte, würde sie mein Eindringen auf den ersten Blick wohl kaum bemerken.
Die lange Suche hatte mich ermüdet und frustriert. Ein kleines Notizbuch, in das womöglich ein Backfisch seine Liebesfantasien oder eine Hausfrau ihre Kochrezepte geschrieben hatte, war nicht gerade das, was ich nach all der Plackerei erwartet hatte. So landete die Kladde erst einmal achtlos auf meinem Schreibtisch.
Nachdem ich endlich den zähen Staub aus jeder Pore entfernt und einen kleinen, verspäteten Mittagssnack zu mir genommen hatte, streckte ich mich auf meiner Couch aus und war binnen Sekunden eingeschlafen. Der Traum, den ich hatte, war allerdings nicht dazu angetan, meine strapazierten Nerven zu beruhigen. Und dabei sah alles ganz normal aus …
Es war ein sonniger, warmer Tag. Ich stand am Fenster in der Küche und blickte auf die Trümmerlandschaft hinaus. Kein Windhauch regte sich. Steine, Unkraut und Müll brieten starr in der Glut
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