Katzendaemmerung
Reise zu wünschen. Erst dann drang in mein Bewusstsein, dass sich unter dem Gepäck auch meine persönlichen Sachen befanden. – Ich würde ihn tatsächlich begleiten, auf einer fantastischen Expedition in das Land der Pharaonen. In ein Land, welches uns auch heute noch ein einziges Enigma ist. – Trotz aller Forschungen und Ausgrabungen. Trotz des ›Steins von Rosette‹. – Ägypten!!
Als ich vor knapp einem Jahr Onkel Normans Ruf ans Londoner University College folgte, hätte ich nie im Traum daran gedacht, noch vor Abschluss meiner Studien, ›kmt‹ zu erblicken. ›Das schwarze Land‹, das seine Existenz eigentlich nur dem fruchtbaren Nilschlamm verdankt.
Obwohl, so denke ich jetzt, so überraschend kommt die Reise vielleicht doch nicht, habe ich mich doch im Laufe der Jahre ganz zielstrebig nach Osten hin bewegt; von Berkeley, wo ich Geschichte und alte Sprachen belegt hatte, nach Cornell (Geschichte des Altertums) und schließlich bis nach London (Ägyptologie und Geologie). Und nun folgt halt der letzte, entscheidende Schritt.
Der Forscherdrang, das Interesse an alten Kulturen und ganz besonders an der ägyptischen, scheint meiner Familie tatsächlich im Blute zu liegen, zumindest, was die männlichen Mitglieder betrifft. (der Peacham-Zweig)
Mom war anfangs überhaupt nicht davon angetan, ihren Filius nach Europa zu verlieren. Aber immerhin war ich schon zwanzig Jahre alt, beinahe volljährig, und außerdem leistete ihr Bruder ein gutes Stück Überzeugungsarbeit. In langen Briefen erklärte Onkel Norm ihr, wie bedeutungsvoll ein Aufenthalt in London für meine Ausbildung sei. London sei im Hinblick auf Ägyptologie der ›Nabel der Welt‹. An keinem anderen Ort – abgesehen von Ägypten selbst – befänden sich renommiertere Wissenschaftler und mannigfaltigeres Schriftgut. Ich konnte zwar nicht in seinem Haus in York wohnen, doch mein Onkel versprach Mom, mich unter seine Fittiche zu nehmen.
Zusammen mit anderen Kuratoren beschäftigte er sich mit der Katalogisierung und Pflege der immer größer werdenden ›Sammlung Ägyptischer Altertümer‹ im Britischen Museum und war daher meist die ganze Woche über in London. Mom blieb schließlich nichts anderes übrig, als mich ziehen zu lassen; dem Druck und dem Enthusiasmus gleich zweier Altertumsverrückter war sie einfach nicht gewachsen.
Und London war in der Tat eine Offenbarung.
Ich las Bücher über Bücher; so Denons ›Beschreibung Ägyptens‹; Pocockes ›Description of the East‹; Wilkinsons ›Sitten und Gebräuche der alten Ägypter‹. Ich grub mich förmlich durch alle vierundzwanzig Bände von Jomards ›Description de l’Egypte‹, bewunderte immer wieder Champollions ›Lettre à M. Dacier‹ und berauschte mich an Amelia Edwards ›Tausend Meilen den Nil hinauf‹. Es gab allerdings auch schwierigere Bücher, wie Birchs, Goodwins und Masperos ›Grammatik der demotischen Sprache‹; dies wurde allerdings durch die aktuellen Ausgrabungsberichte von Mr. William Matthew Flinders Petrie wieder aufgehoben. Petrie öffnete u.a. in Hawara eine Pyramide des Amenemmes III, einem Pharao der 12. Dynastie. Ich verfolgte aber auch seine Berichte über die Arbeiten in Tanis, Daphne, Naukratis, Hierakonpolis, Naqada, Kahun, Tell el-Armarn, Diospolis und Parva. Durch ihn und nicht zuletzt auch durch meinen Onkel lernte ich, noch bevor ich jemals an einer Grabung beteiligt war, wie bedeutsam selbst kleinste Funde wie Perlen, Tonscherben oder Amulette sein konnten. Für gewöhnlich wurden derartige Dinge eher als geringschätzige Nebenprodukte einer Grabung angesehen. Flinders jedoch betonte immer wieder, dass selbst Haushaltsabfälle wichtige Aufschlüsse über die Kultur und das Leben der alten Ägypter vermitteln können.
Für einen tatendurstigen Studenten wie mich, der ganze Tempel dem Wüstensand entreißen will, klingen derartige Erläuterungen natürlich erstmal ernüchternd; es wird mir aber vielleicht darüber hinweghelfen, wenn unsere Expedition nicht ganz den erhofften Erfolg haben sollte.
Wie es scheint, ist Onkel Norman ohnehin ganz auf Petries Linie. Manchmal, so habe ich den Eindruck, delektiert er sich mehr an einer kleinen Horus-Figur, als an der gesamten Widdersphinx-Allee in Karnak. Vielleicht hat er sich auch daher einen eher unspektakulären Ort für seine Grabungen ausgesucht. Das Ziel unserer Reise heißt nicht etwa Dendera, Luxor oder Edfu, unser Weg wird uns hingegen ins relativ unbekannte Bubastis führen, ein Ort
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