Katzendaemmerung
›Cleopatra‹ von Sir Henry Rider Haggard. Ich hoffe, ich werde während der kommenden Wochen und Monate auch die Muße dazu finden, diese fiktive historische Abenteuergeschichte zu lesen. Vorerst wartet allerdings mein ›alter Freund‹ Herodot …
10. Januar: Heute früh, mit einer halbstündigen Verspätung, verließ die ›Bombay‹ unter dem infernalischen Dröhnen ihrer Schiffssirenen den Hafen. Die uns zugewiesenen Kabinen sind zwar sauber aber beinahe schon bedrohlich eng. Ich muss mir meinen winzigen Verschlag zudem noch mit einem französischen Perückenmacher aus Dijon teilen. Zu zweit kann man sich nur im Raum aufhalten, wenn mindestens einer ausgestreckt auf seiner Pritsche liegt. Zum Glück weilt M. Leluc meist im Rauchersalon oder oben an Deck.
Die ›Bombay‹ macht knapp zwölf Seemeilen in der Stunde; wenn die Ostwinde nicht zu stark auffrischen, glaubt Onkel Norm, dass wir in etwa acht Tagen die Küste von Alexandria sichten werden. Angesichts der Tatsache, dass Napoleon schon vor einem Jahrhundert für dieselbe Strecke auch nur zehn bis zwölf Tage benötigte, eine doch recht lange Zeit. Allerdings hätte der große Feldherr den Januar nur für die Rückkehr aus Alexandria nutzen können; aufgrund der fehlenden Motorkraft war er damals noch auf die Nord- Nord/Ost-Winde angewiesen, die für gewöhnlich nur in der Zeit von Juni bis August nutzbar sind. Es ist schon erstaunlich, wie der technische Fortschritt immer mehr dazu führt, den Menschen von den Bedingungen der Natur unabhängig zu machen. Ja, beinahe versuchen wir zuweilen sogar, den Gesetzen der Natur zu trotzen. M. Jules Verne ist mittlerweile nicht mehr der Einzige, der sich eine Gesellschaft vorstellen kann, in der sich die Menschen frei wie die Vögel durch die Lüfte schwingen, in Ballonen und Motor angetriebenen Luftfahrzeugen; vielleicht sogar bis weit hinaus ins All. Doch was spinne ich da – meine Interessen liegen in einer weit zurückliegenden Vergangenheit und nicht in der Zukunft. Horus, Neith und Isis mögen mir verzeihen.
12. Januar: Bei günstigen Witterungsbedingungen (ruhige See, leicht bewölkter Himmel, schwacher Ostwind) passierten wir die ›Straße von Sizilien‹ und erreichten noch vor Mittag den Hafen von La Valetta. Hier auf Malta machte unser Schiff einen kurzen Zwischenstopp, um weitere Passagiere aufzunehmen. Es waren dies in erster Linie englische, französische und deutsche Kaufleute. Viele der Männer betrachten Alexandria lediglich als eine Zwischenstation auf einer noch viel weiteren Reise bis hin nach Indien.
Nach weniger als vier Stunden legten wir schon wieder ab. Nun gibt es kein Halten mehr, keine Inseln; zwischen hier und Ägypten erstreckt sich nur noch die tiefblaue See.
Die Familie Peacham und ich vertreiben uns die meiste Zeit oben auf Deck. Die Temperaturen sind auf angenehme 17 Grad C gestiegen, und in einem windschattigen Plätzchen lässt es sich vortrefflich aushalten. Die Sonne ist hier im Süden stärker als es den Anschein erweckt; obwohl der Himmel meist leicht bewölkt ist, habe ich mir doch einen leichten Sonnenbrand auf den Armen zugezogen. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was mich im Land der Pyramiden noch erwarten mag. Onkel Norm quittierte meinen Leichtsinn nur mit einem ironischen Lächeln. ›Die Torheiten der Jugend‹ meinte er wohl. – Er selbst trägt stets einen Hut, und kein einziges Mal habe ich ihn mit hochgeschlagenen Ärmeln gesehen. Mrs. Attiya reichte mir freundlicherweise eine kühlende Salbe, die mir fast augenblicklich Linderung verschaffte. Onkel Norms Frau scheint für sich selbst derartige Hilfsmittel nicht zu benötigen; oft trägt sie an Deck ein ärmelloses Kleid, aber ihre milchkaffeebraune Haut nimmt unter der Sonne nur einen leicht dunkleren Ton an. ›Rot‹ wird sie nie …
Auf dem Schiff gibt es eine recht zahme Meerkatze. Offenbar hält ein Mitglied der Besatzung sie als eine Art Maskottchen. Die kleine Damiyat ist ganz verrückt nach dem Äffchen; immer wenn das vorwitzige Kerlchen, das seinen langen Schwanz stets wie ein aufgerichtetes Fragezeichen mit sich herumträgt, in unserer Nähe über die Planken tollt, ist das Kind kaum zu halten. Ihr Vater hat ihr Nüsse und kleine Apfelstücke geholt, und nun füttert Damiyat das gierige Tier bei jeder nur möglichen Gelegenheit. Bei dem Schauspiel, das die beiden bieten, vergesse ich nicht selten die Zeit. Auf der einen Seite das vergnügt quietschende Mädchen, das erwartungsvoll
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