Katzendaemmerung
fast unmöglich, eine ruhige Hand zu bewahren. Ich frage mich allerdings, ob ich nicht dem Beispiel Onkel Norms folgen soll und seine Tochter zukünftig Natascha nenne …
Ich konnte nicht sofort weiterblättern. Die Aufzeichnungen des kranken Julius Blatchford hatten auch mich nachdenklich gestimmt. Etwas in seinem ausführlichen Bericht hatte eine Warnglocke bei mir angeschlagen; mir war es jedoch unmöglich, den Auslöser für dieses Unbehagen zu benennen. Es war wie verhext. Auf meiner Suche nach näheren Informationen über Attiya Peacham und ihre Tochter stieß ich immer nur auf neue Fragen. Ich wollte aber Antworten!
Die Eintragungen der folgenden Tage überflog ich nur. Blatchford berichtete von den Feierlichkeiten zu Ehren Königin Victorias Geburtstags, dem Abklingen des Winterregens, seiner schrittweisen Genesung, dem allmählichen Abschluss der Grabungsarbeiten und von einem Brettspiel namens ›lu’bat‹; der Frau seines Onkels widmete er aber erst drei Wochen nach dem Tod des Jungen wieder einen längeren Abschnitt.
11. Juni: Ich habe meinen Onkel heute erneut nach dem genauen Termin unserer Rückreise befragt. Zwar sind noch nicht alle Arbeiten abgeschlossen, ihr Umfang ist jedoch überschaubar geworden. In erster Linie geht es nun darum, alle Fundstücke genauestens zu katalogisieren, zu säubern und für den anstehenden Abtransport zu verpacken. Die Teile, die für das Britische Museum vorgesehen sind, wurden von mir bereits ausgesondert; alle übrigen Artefakte werden wir Professor Newberry in Kairo übergeben. Selbst bei einem nur schleppenden Tempo müssten wir in spätestens vierzehn, allerhöchstens sechzehn Tagen unser Grabungsprojekt beenden können.
Onkel Norm wollte mir auch heute Morgen keine konkrete Antwort geben. Mit seinem schon gewohnten »In ein paar Wochen« gab ich mich diesmal aber nicht zufrieden. Erst, als ich hartnäckig blieb, rückte er mit der Wahrheit heraus.
Wie es aussieht, beabsichtigt er erst gegen Ende Juli in Alexandria an Bord zu gehen. Dies würde bedeuten, dass wir annähernd einen Monat länger als notwendig in Tell-Basta blieben. Ich konnte mein Erstaunen, aber auch meinen Unmut, über diese Entscheidung kaum verhehlen. So sehr ich auch ›kmt‹ – ›das Schwarze Land‹ – zu schätzen gelernt habe, so sehne ich mich nach dieser langen Zeit doch wieder nach den saftigen Wiesen, den sanften Hügeln und den rauschenden Wäldern Englands zurück. Auch hätte ich nichts gegen ein blutig-rotes Steak und ein gut gezapftes Ale einzuwenden.
Mein Heimweh wird nicht zuletzt auch durch den seit Tagen wehenden Chamasîn beeinflusst. Durch den heißen Südwind steigen die Temperaturen am Tage nicht selten auf über 41° C.
Erst der lang anhaltende Winterregen und nun dieser Glutwind.
Mein Onkel sagte mir, dass er es durchaus verstünde, wenn ich mit meiner Abreise nicht bis zum Juli warten wolle. Er sei gerne dazu bereit, mir eine frühere Schiffspassage zu buchen. Auf meine Frage, warum er denn selbst einen weiteren Monat im Delta verbringen wolle, wurde er sichtlich ernst. Es habe keine beruflichen, eher privaten Gründe, erklärte er geheimnisvoll. Da ich spürte, wie nahe ihm diese Angelegenheit ging, bedrängte ich ihn nicht weiter.
Ich war schon auf dem halben Weg zu meinem Zelt, als ich plötzlich seine Schritte hinter mir vernahm. Offenbar drängte es ihn doch, mit einem anderen Menschen über die Sache zu sprechen. Eine ganze Weile schlurfte mein Onkel nur schweigend neben mir her. Ich konnte förmlich spüren, mit welcher Anstrengung er nach einem geeigneten Anfang suchte. Schließlich blieb er stehen und blickte mich mit einer sorgenvollen Miene an.
»Attiya besteht darauf, dass Natascha ihre Weihe nur am Neujahrstag empfangen könne.«
Ich zuckte zusammen. »Am Neujahrstag? Aber bis dahin sind es doch noch fast sechs Monate! Du sagtest doch, du wolltest Ende Juli abreisen …«
»Nein, nein Julius«, entgegnete mein Onkel kopfschüttelnd. »Nicht unser Neujahr. Attiya richtet sich nach dem Kalender ihrer Ahnen. Wie du ja weißt, begann für die alten Ägypter jedes neue Jahr mit dem Einsetzen der Nilschwemme. Dieses Ereignis fiel mit dem Aufgang des Sirius oder Hundssterns zusammen. Meine Tochter soll während des Sed-Festes am 19. Juli in die Gemeinschaft der Bubasiten aufgenommen werden.«
Wie ich dem weiteren Gespräch entnahm, hatte mein Onkel beharrlich auf einen früheren Termin gedrängt – auch ihm war daran gelegen, möglichst
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