Katzendaemmerung
Arabisch sprach, von seinem Spaß mit der Katze ließ er sich jedoch nicht abbringen.
»Du sollst die Katze in Frieden lassen, habe ich gesagt!« – Es war nicht das, was sie sagte, sondern wie sie es sagte, was Selim nun doch dazu bewegte, aufzublicken. Damiyats Worte hatten nicht wie die einer Dreijährigen geklungen; der Junge verglich ihren Tonfall eher mit dem einer strengen Lehrerin in der Schule. Da er sich vor dem Mädchen jedoch keine Blöße geben wollte, grinste er sie nur frech an. »Und was will das kleine Baby tun, um mich daran zu hindern? Will es mir etwa mit seinen Patschhändchen eine Ohrfeige geben? Dann vergiss’ aber bloß nicht, einen Stuhl oder eine Leiter mitzubringen.« Der Junge musste so heftig über seinen eigenen Scherz lachen, dass er nur undeutlich hörte, wie Damiyat etwas rief und dann wieder hinter der Mauer verschwand. Selim war sich nicht sicher, doch er glaubte die Worte hätten nicht arabisch geklungen. Irgendwie völlig fremd. Sie hätte nicht einmal der Sprache der ›Wissenschafts-Männer‹ geähnelt. (Mit ›Wissenschafts-Männern‹ bezeichnete Selim alle Archäologen.) Der Junge wollte sich gerade wieder seiner Katze widmen, als er überrascht feststellen musste, dass keines der Tiere mehr zu sehen war. Selbst El Qi’schta, ein alter, schwerfälliger Perser-Mischling, der sich für gewöhnlich nur für einen Teller frischer Sahne von seinem Lieblingsplatz erhob, lag nicht mehr neben der Treppe. Selim konnte sich das plötzliche Verschwinden einfach nicht erklären; er suchte in allen ihm bekannten Verstecken und rief immer wieder ihre Namen, aber alles ohne Erfolg. Es war, so sagte er seinen Eltern, als wenn das kleine Mädchen die Katzen unsichtbar gemacht hätte.
Nur wenig später begann das Nasenbluten.
Für den Schneider und seine Frau lag der Fall klar. Damiyat hatte ihren Sohn auf irgendeine tückische Weise mit einem Fluch belegt. Die abergläubischen Leute gerieten derart außer sich, dass schon nach kürzester Zeit das ganze Viertel von nichts anderem mehr als dem armen Selim und der ›kleinen Teufelin‹ sprach.
Die Volksseele kocht. Endlich, so scheint es, hat man etwas gegen die Frau meines Onkels in der Hand.
Bis auf den kleinen Kreis der Bubasiten, der sie geradezu anbetet, hat es im ganzen Ort eigentlich niemanden gegeben, der Attiya seit ihrer Rückkehr einen Besuch abgestattet hätte. Man meidet sie wie eine Aussätzige. Und jetzt das!
Nach kurzem Zögern gab Omohid sogar zu, dass ihr Vater bereits aufgebrachte Menschen davon abhalten musste, das Haus meines Onkels zu stürmen. Die Lage spitzte sich also zu.
»Die Leute wollen Bint el-Werethekau zwingen, den Fluch wieder zurückzunehmen«, erklärte mir Omohid.
»Bint el- wen?«, fragte ich.
»Bint el-Werethekau, die Tochter von El-Werethekau. Viele im Ort nennen die kleine Damiyat so.«
Ich war erstaunt und verwirrt. Nun lebte ich schon annähernd vier Monate mitten in Zagazig und studierte neben den Ausgrabungsstücken auch intensiv die Sprache und das Alltagsleben der Menschen, von einer »Bint el-Werethekau« war mir aber bislang noch nichts zu Ohren gekommen. Natürlich. Ich würde halt immer nur ein Agnabiyy, ein Ausländer, bleiben und demzufolge auch nur das erfahren, was für mich bestimmt war.
Der Name ging mir nicht mehr aus dem Kopf. »Und was bedeutet El-Werethekau?«, fragte ich. »Warum hat man Attiya diese Bezeichnung gegeben?«
Omohids Antwort kam nur sehr zögerlich. Entweder befürchtete sie, unser Gespräch könnte mich zu sehr aufregen, oder aber das Thema war ihr unangenehm.
»Das Wort ist schon sehr alt«, sagte sie schließlich. »Soweit ich weiß, hat es schon das Volk der Pharaonen verwendet. Übersetzt bedeutet es etwa ›die erhabene Magierin‹ oder ›die Zauberreiche‹.«
»Zauberei, Magie?«, lächelte ich. »Und was hat das alles mit Attiya zu tun?«
Meine Pflegerin fühlte sich nun sichtlich unwohl; nervös spielte sie mit den Kupferbändern an ihrem Handgelenk. »Die Leute, sie sind sehr abergläubisch hier«, begann sie. »Man sagt, Attiya sei in Wirklichkeit eine mächtige Zauberin, vielleicht sogar eine Göttin. Ihre Hände können Kranke heilen, aber auch Seuchen über das Land bringen. Gerät sie in Zorn, so schleudern ihre Augen flammende Pfeile gegen ihre Widersacher. Sie steht mit allen Katzen im Bunde, und niemand kann sie je besiegen, denn El-Werethekau ist unsterblich.«
»Unglaublich!«, entfuhr es mir. »Das klingt ja noch schlimmer als
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