Katzendaemmerung
verdammte Fieber! Schuld daran sind nur die oft sehr heftigen Regenschauer und der kühle Morast, in dem wir uns tagein, tagaus wie eine Horde Warzenschweine herumsuhlen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich einmal bei einer Grabung in Afrika (sic!) im Regen stehen und bitterlich frieren würde. Nun, man lernt halt nie aus.
Auch heute war das Wetter kaum dazu angetan, mich aufzuheitern. Immer wieder zogen dunkelgraue Nieselschleier über die Bohnenfelder. Ich bin sicherlich mehr als nur ein halber Engländer; mit einem derart nasskalten Klima werde ich allerdings niemals sympathisieren.
Ein merkwürdiger Zwischenfall führte aber schließlich dazu, diesen Tag als vollends schwarz erscheinen zu lassen. Noch immer höre ich aufgeregte Frauen- und Männerstimmen auf der Straße. Ich verstehe zwar nicht, was sie rufen, der hysterische Tonfall lässt aber Wut und Verzweiflung erkennen. Seit dem späten Nachmittag ist fast das ganze Viertel in heller Aufregung. Von meinem Lager aus kann ich nur einen winzigen Teil der Straße einsehen, doch das, was ich höre, verrät mir genug. Menschen rennen ziellos durch den Schlamm, kleinere Gruppen diskutieren hitzig, manche schreien wie bei einer Demonstration. Einige der Frauen weinen.
Was ist geschehen?
Den ganzen Morgen hatte ich in einem tranceartigen Halbschlaf verbracht; gegen Mittag jedoch besserte sich mein Zustand, und es gelang mir sogar, mehrere Löffel Moulouchija zu essen. Entsprechend Attiyas fachkundigen Anweisungen hatte mich Omohid zusätzlich mit ausreichend heißem Tee und Chinin versorgt.
Ich genoss gerade die Kühle eines frisch aufgelegten Stirnwickels, als ich nebenan laute Stimmen vernahm. Der plötzliche Lärm wirkte an diesem Ort so fremd wie schallendes Gelächter bei einer Beerdigung. Offenbar mit Rücksicht auf meine Person hatte man das Haus in einen Hort der Stille verwandelt. Das leise Klirren eines Glases war bislang das einzige Geräusch gewesen, das mir die Anwesenheit anderer Hausbewohner verraten hatte. Umso mehr beunruhigte mich daher nun diese Störung.
Als die Stimmen lauter wurden und aus Richtung der Straße sogar noch eine Art von Echo erfuhren, rief ich beunruhigt nach meiner Pflegerin.
Omohid war derart erregt, dass sie ganz vergaß, wie bruchstückhaft ich ihre Sprache nur verstehen konnte. Aus ihrem Redeschwall entnahm ich anfangs nur das eine Wort: Selim. Immer wieder erzählte mir die Frau etwas von einem kleinen Jungen namens Selim. Erst dann entschlüsselte ich vertraute Worte wie ›anfu‹ (Nase), ›dam‹ (Blut), ›hayyat‹ (Schneider) und ›chátar‹ (Lebensgefahr), ein Sinn ergab sich aber noch immer nicht.
Omohid erkannte glücklicherweise nach einer Weile, wie wenig ich von alledem verstand, und unternahm einen zweiten Anlauf – diesmal in ihrer eigenwilligen Mischung aus Englisch und Arabisch. Da sie nun auch langsamer und deutlicher sprach, enthüllte sich mir nach und nach eine höchst befremdliche Geschichte.
Selim war der zweitjüngste Sohn des hiesigen Schneiders; das Haus seiner Familie liegt in derselben Straße wie das, welches der Kaimakan Onkel Norm und seiner Familie zur Verfügung gestellt hat.
Der Junge hatte plötzlich starkes Nasenbluten bekommen und keines der sonst üblichen Mittel konnte es zum Versiegen bringen. Selbst der eiligst herbeigerufene Arzt wusste sich keinen Rat. Wenn keine der Behandlungen anschlug, so hieß es, drohte der Junge zu verbluten.
Der wahre Grund für die allgemeine Aufregung lag jedoch woanders. Ständig hatte Selim nur ein einziges Wort vor sich hingewimmert. Seine Eltern verstanden anfangs nur so etwas wie ›damiya‹ (bluten) und bezogen dies auf die tropfende Nase. Später aber hörten sie deutlich den Namen ›Damiyat‹. Auf Nachfragen erzählte der Junge, er habe gerade mit seiner Katze gespielt, als ihn das kleine Mädchen über die Mauer ihres Grundstücks hinweg beobachtete. Er habe sich nicht weiter um das Kleinkind gekümmert und einige ›Neckereien‹ mit dem Tier angestellt. Plötzlich, so berichtete Selim, habe das Mädchen angefangen zu schreien. Es fuchtelte wild mit den Ärmchen herum und brabbelte irgendein Kauderwelsch in einer fremden Sprache.
Selim schenkte dem quäkenden Kind auch jetzt keine Beachtung. Als er jedoch noch einer zweiten Katze eine Blechdose an den Schwanz binden wollte, hörte er ganz deutlich, wie das Mädchen »Lass’ das sein!« zu ihm herüber rief. Im ersten Moment war er erstaunt, dass das Kind auch
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