Katzendaemmerung
bald wieder in sein Haus nach York zurückzukehren – doch alles ohne Erfolg. Attiya bestand ohne ›wenn und aber‹ auf dem 19. Juli. Ihr Mann hatte ihr sein Wort gegeben, dass Damiyat zur Hälfte im koptischen Glauben erzogen würde, und nun forderte sie dieses Versprechen ein. Man könne den Termin nicht einfach verschieben. Kein Anglikaner käme je auf die Idee, Ostern im Dezember zu feiern; ebenso wenig könne man das Sed-Fest zur Zeit der ›Schemu‹, der Trockenheit, abhalten.
Ich verstehe nun, in welcher Zwangslage sich mein Onkel befindet. Einerseits ruft England, andererseits bindet ihn sein Wort. Zu Attiyas Verteidigung muss ich allerdings sagen, dass sie nur das tut, was ihr Glaube ihr gebietet. Durch ihren starken Bezug zur Religion ihrer Vorfahren mutet uns vielleicht manches, was die Bubasiten tun, höchst fremd an. Sie verstehen sich aber dennoch als Vertreter der Lehre Christi. Warum also sollte man diesen Menschen ein Fest verwehren, das schon seit Jahrtausenden die Fluten des Nils begrüßt. Ohne den fruchtbaren Schlamm dieses Flusses wäre Ägypten nichts weiter als das, was die Alten als ›Dsrt‹ oder ›Rotes Land‹ bezeichneten. Eine endlose, öde Wüste.
Da sich seine Abreise nun hinauszögert, hat sich mein Onkel bereits um eine Verlängerung seiner Grabungslizenz bemüht. Die verbleibenden Wochen will er sich nun eingehend mit dem Tempelbau Osorkons II. befassen – oder vielmehr mit den Bruchstücken, die noch vom Standort des einst so mächtigen Gebäudes künden.
Ich für meinen Teil bin mir nun wieder unschlüssig darüber, wann ich die Heimreise antreten soll. Ein verfrühter Aufbruch erscheint mir so, als würde ich meinen Onkel im Stich lassen. Und dabei verdanke ich ihm doch so viel.
Schweren Herzens beschloss Blatchford, nun doch zu bleiben. Am 25. Juni nahmen die beiden Männer ihre Arbeit an der etwa zweihundertfünfzig Meter südlich gelegenen Tempelzone auf. Die Grabungen erwiesen sich in der ersten Zeit als sehr beschwerlich und nur wenig ergiebig. Wie es schien, hatte Naville bereits alle wichtigen Relikte abtransportieren lassen. Dennoch wurde unermüdlich weitergesucht. Ich gewann den Eindruck, als wenn sich der Onkel und sein Neffe regelrecht in die Arbeit flüchteten, um die ihnen auferlegte Wartezeit so sinnvoll wie möglich zu überbrücken. Anfang Juli stattete Amr Karim der Gruppe einen abendlichen Besuch ab. Es ging darum, mit Attiya die genauen Einzelheiten der bald anstehenden Feierlichkeiten abzusprechen. In diesem Zusammenhang machte Julius Blatchford eine Beobachtung, die sich im Nachhinein als recht aufschlussreich für ihn (und auch für mich!) erweisen sollte …
2. Juli: Während ihrer Unterredung fiel mir auf, dass Karim die Frau meines Onkels oft mit ›Repit‹ ansprach; sie hingegen verwendete mehrmals den Ausdruck ›wêb‹. Als ich später Onkel Norm nach der Bedeutung der Worte fragte, konnte er mir sofort nur Letzteres erklären. ›Wêb‹ sei altägyptisch und bedeute soviel wie ›Priester‹. Für ›Repit‹ musste aber auch er zuerst einige seiner schlauen Bücher zurate ziehen. Nach einer Weile wurde er fündig. ›Repit‹ heißt übersetzt ›hohe Frau‹. Mein Onkel glaubt, es handele sich hierbei um einen Ehrentitel, der Attiya als Führerin der koptischen Gemeinde verliehen worden sei.
Drei Tage später machten die Archäologen wider Erwarten doch noch eine interessante Entdeckung.
5. Juli: Das salzige Grundwasser ist unser größter Feind. Ob Stein, Holz oder Bronze, alles wird unerbittlich davon angefressen und zerstört. Umso verwunderlicher war es, als wir heute am frühen Nachmittag auf ein etwa zwei Fuß breites und ein Fuß hohes Mauerstück mit bildhaften Darstellungen und zahlreichen Hieroglyphen stießen. Wir jauchzten und umarmten uns, als wenn wir Cleopatras Schatzkammer aufgebrochen hätten. Onkel Norm glaubt, dass das Stück zur großen Festhalle Osorkons II. gehört.
Auf den Bildern erkennt man den König, wie er den Göttinnen Bastet und Sachmet Opfer darbringt. Im Gegenzug erhält er dafür Schutz vor Feinden (symbolisiert durch Bogen und Pfeile) und ein langes Leben (symbolisiert durch Jahresrispe, Waszepter, Shen und Anchzeichen). Auffallend dabei ist, dass die Gottheiten einmal als Katze oder Löwin, dann aber auch in Menschengestalt mit den Hathor-Attributen der Stierkrone und der Sonnenscheibe dargestellt wurden. Die Art der Präsentation lässt darauf schließen, dass nur eine einzige
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