Katzendaemmerung
bei den Hexenprozessen von Salem. Und du? Glaubst du etwa auch an diesen Unsinn?«
Omohid schüttelte vehement den Kopf. In ihrem Gesicht zeigte sich aber zumindest eine kleine Unsicherheit; vollkommen lehnte also auch sie diese haarsträubende Geschichte nicht ab. Ich konnte es nicht fassen; ich war an diesen Ort gekommen, um die antiken Schätze versunkener Kulturen zu bergen; ich hatte allerdings nicht geahnt, dass in den Köpfen der noch lebenden Menschen weitaus ältere Relikte herumspukten.
Eigentlich war es schon schlimm genug, wenn die Leute an Dinge wie den ›bösen Blick‹ und Hexerei glaubten, die Tatsache allerdings, dass dieser Wahnsinn jetzt meine Freunde und sogar ein kleines Kind bedrohte, ließ mich aus meiner Lethargie erwachen. Omohid brauchte ihre ganze Überzeugungskraft, um mich schließlich doch im Bett zu halten. Ich war wie von Sinnen. Immer wieder versuchte ich aufzustehen, um Onkel Norm und seiner Familie beizustehen. Ein kindisches Verhalten, wie ich jetzt zugeben muss. In meinem Zustand hätte ich es wahrscheinlich nicht einmal bis zur Haustür geschafft.
»Nicht aufregen, Sayid Djul«, beschwor mich meine besorgte Krankenschwester. »Keine Gefahr! Keine Gefahr! Mein Vater kümmern sich um ›taqlid al-qariya‹. Amr Karim und andere Männer auch da. Guter Schutz. Keine Gefahr! Keine Gefahr!«
Ihre Worte bewiesen zwar den Ernst der Lage, die Anwesenheit von Attiyas koptischen Freunden beruhigte mich aber. Ich hatte Karim als einen sowohl körperlich als auch geistig sehr starken Mann kennengelernt; wenn er und seine Leute das Haus sicherten, brauchte ich mir um Attiya und Damiyat keine großen Sorgen zu machen. Der ›taqlid al-qariya‹, die herrschende Ordnung, befand sich bei ihm in guten Händen. Ein gewisses Unbehagen blieb aber trotzdem.
Auch jetzt, da ich im Schein einer Öllampe diese Zeilen schreibe, empfinde ich ein Gefühl der Spannung und der Unruhe. Mein Fieber beginnt wieder zu steigen. Meine Hand zittert, und kalter Schweiß bedeckt meine Stirn. Ich will aber dennoch versuchen, die Ereignisse des Tages in ihrer ganzen Tragweite darzustellen.
Wie ein unheimliches Wolfsgeheul überzieht der monotone Singsang der Klageweiber die Nacht. Die Trauer und der fanatische Zorn haben neue Nahrung gefunden. Vor etwas weniger als zwei Stunden ist der Sohn des Schneiders gestorben. Omohid hätte es mir nicht sagen müssen; das plötzlich einsetzende Wehklagen der Familie drang bis zu uns hinüber.
Selims Tod ist ohne Zweifel eine Tragödie, eine schwere Prüfung für die Eltern und alle Angehörigen, aber solche Dinge geschehen nun einmal. Wir Menschen leben halt nicht mehr in einem heilen Paradies. ›Verflucht sei der Acker um deinetwillen‹, sprach Gott zu Adam. ›Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen.‹ Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.‹ – Dieses Schicksal tragen wir Menschen alle gemeinsam, und selbst in so fortschrittlichen Ländern wie England oder Amerika können wir es nicht verhindern, dass Kinder sterben oder andere sinnlos erscheinende Unglücksfälle geschehen. Nur machen wir keinen Zauberer oder bösen Geist für diese Dinge verantwortlich. Nicht mehr – Salem ist gottlob seit dreihundert Jahren Geschichte. In stiller Trauer versuchen wir … weiterzuleben. Ich hoffe nur, dass auch die Menschen hier recht bald wieder zur Besinnung kommen und die Umstände mit klaren Augen betrachten …
An dieser Stelle wird die Schrift unleserlich. Nur den letzten kurzen Abschnitt der Seite konnte ich wieder entziffern.
… Ich weiß nicht, ob es an meinem Fieber liegt oder an den Gesängen der Klageweiber, aber seltsame, beunruhigende Gedanken kreisen in meinem Kopf. Törichte Gedanken. Stets muss ich an Blut denken. Das Blut, das dem armen Jungen in Strömen aus seiner Nase geflossen ist. Und an ein anderes Blut. Durch Omohids Erzählung ist es mir erstmals zu Bewusstsein gekommen.
›Dam‹ (Blut); ›damiya‹ (bluten). – Damiyat.
Warum hat Attiya ihre Tochter nur so genannt? Und was bedeutet der Name? Etwa ›die Blutende‹? Oder gar ›die, die das Blut fließen lässt‹? Wenn dem tatsächlich so wäre, welch bösen Dienst hätte Attiya ihrem Kind damit erwiesen! Ich kann und will nicht weiter darüber nachgrübeln. Wellenartige Hitzeschübe machen es mir zudem
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