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Katzendaemmerung

Katzendaemmerung

Titel: Katzendaemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Gordon Wolf
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ihnen geworden? War Blatchford die Flucht mit seiner kleinen Cousine geglückt? Und wenn ja, wohin war er mit ihr gegangen? Zurück nach London? Oder gar nach San Francisco?
    »Genau das ist es«, sagte ich mir. Was sonst hätte ein junger Student mit einem zweijährigen Kind anfangen sollen? In England gab es höchstwahrscheinlich nur entfernte Verwandtschaft. Im Tagebuch hatten dezente Bemerkungen darauf hingewiesen, dass Norman Peacham deutlich älter als seine Frau gewesen war. Ein Umstand, der durch die Fotos belegt wurde; etwaige Großeltern Nataschas lebten vielleicht nicht mehr. Ganz anders in Amerika. Dort gab es immerhin eine Familie, die den unerwarteten Zuwachs sicher freudig aufgenommen hätte. Eine durchaus stimmige Vermutung, wie ich fand. Mehr allerdings auch nicht; konkrete Beweise konnte ich schließlich nicht vorlegen.
    Nervös sprang ich auf und durchmaß das Büro mit großen Kreisen. Der Schlussteil der Tagebuchaufzeichnungen hatte eine seltsame Unruhe in mir ausgelöst. Ich spürte, dass jene unscheinbare Kladde die Antwort auf viele meiner Fragen bereithielt, doch noch suchte ich nach dem passenden Schlüssel. Bislang war Blatchfords Bericht für mich kaum mehr als eine Ansammlung kryptischer Hieroglyphen. Längst vergangene Ereignisse aus einem früheren Jahrhundert. Welche Bedeutung hatten diese Dinge – einhundert Jahre später – noch für mich? Was mir fehlte, war ein Rosetta-Stein, der die Brücke hinüber zur Gegenwart schlug.
    Einige sinnierende Runden später dämmerte mir mit einem Mal die Wahrheit. War die Lösung wirklich derart schwierig? Nein , sagte ich mir. Eigentlich besitzt du deinen Rosetta-Stein bereits. Du übersiehst ihn nur deshalb, weil er dir so nahe ist. Der Schlüssel hieß eindeutig Bastet oder aber Natascha. Doch wer war nun jenes kleine Mädchen namens Damiyat Natascha Peacham? Handelte es sich bei ihr um die Urgroßmutter jener Natascha, die ich kennengelernt hatte? Zum wiederholten Male betrachtete ich das alte Foto der Peachams. Das seltsam ernste Kind und seine Mutter. Attiyas ebenmäßiges Gesicht entzückte mich immer wieder aufs Neue. Dachte man sich den großen Hut weg, die Frisur weniger streng, dann … dann war es möglich, dass Vergangenheit und Gegenwart nur in den Köpfen der Menschen existierten. Vor den Onyxaugen der heiligen Katze mochte Zeit dagegen eine fast unveränderliche Größe darstellen.
    Was bedeutete überhaupt Existenz für ein göttliches Wesen? Eine leicht geschwungene ewige Woge im Ozean der Unendlichkeit. Eine Sinuskurve ohne Anfang oder Ende; demnach vielleicht ein Kreis? Musste man sich das göttliche ›Sein‹ etwa in großen, immer wiederkehrenden Zyklen vorstellen?
    Stöhnend verließ ich das Büro. Derart wilde Spekulationen führten mich auch nicht weiter. Ich war nur ein unbedeutender Sterblicher; wie konnte ich mir da anmaßen, göttliche Dimensionen verstehen zu wollen.
    Die quietschenden Bremsen eines Autos ließen mich zum Fenster schauen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es draußen schon wieder dunkel geworden war. Das schwache Licht gelblich-weißer Rechtecke und roter, stets paarweise fliegender Leuchtkäfer erhellte die Straße. Ich seufzte. Auch wenn ich weit davon entfernt war, göttlich zu sein, so war auch mir das Gefühl vertraut, Tage binnen Sekunden vergehen zu sehen – zumindest, wenn ich mich in die Gedankenwelt eines Julius Blatchford vertieft hatte.
    Da Mia offenbar auch für diese Nacht einen anderen Platz zum Schlafen gefunden hatte, verbrachte ich den Rest des Abends vor dem Fernseher. Ich zappte von Kanal zu Kanal, doch weder Tom Snyder, Rolonda noch Lauren Hutton wollte es gelingen, mich mit ihren ach so interessanten Gästen abzulenken. Nachdem auch meine Versuche mit einer Sendung über hawaiianische Küche und ein Eishockeyspiel gescheitert waren, schlief ich schließlich mitten in einer völlig überdrehten ›Seinfeld‹-Szene ein.
     
     

5. Kapitel
     
    »Katzenträume«
Yucca Springs, 1990

Erstmals nach sieben Wochen hatte ich wieder meinen Katzen-Traum. Wenn ich es richtig bedachte, handelte es sich aber vielmehr um eine Fortsetzung der beunruhigenden Träume, die mich damals schon vor Bastets wundersamer Wandlung gepeinigt hatten: die Löwen-Träume.
    Erneut sah ich mich im bläulichen Licht des Vollmondes durch die Wohnung gehen, und wie schon so oft starrte ich durch das Küchenfenster hinaus über die müllübersäte Ebene mit ihren düsteren Hausruinen. Obwohl tiefe Schatten

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