Katzendaemmerung
Einfach undenkbar.
Onkel Norm ist zwar enttäuscht, doch er akzeptiert den Wunsch seiner Frau. Er akzeptiert diese unheilige Prozedur!
Spätestens jetzt müsste er doch einsehen, dass meine Bedenken nicht völlig aus der Luft gegriffen waren. Aber keines meiner Argumente dringt zu ihm durch. Fast scheint mir, als habe ihn seine Frau verhext. Und diesmal meine ich das Wort in seiner wahren Bedeutung. Vielleicht, so glaube ich mittlerweile, stützt sich der Aberglaube der Leute doch auf begründete Ursachen. Vielleicht ist Attiya tatsächlich so etwas wie eine Hexe. Eine böse Hexe, die eine schwarze Messe vorbereitet. Wer weiß, vielleicht plant sie sogar, ihre Tochter zu opfern. Ein Blutgeschenk für ihre satanischen Götzen. Mittlerweile halte ich selbst das für möglich.
Verdammt, ich weiß einfach nicht mehr, was ich glauben soll. Der unselige Chamâsîn muss Teile meines Gehirns ausgedörrt haben. Und dennoch überblicke ich glasklar die Situation, so meine ich jedenfalls. Onkel Norms stoischer Gleichmut ist in meinen Augen nicht nur fahrlässig und gefährlich, er ist geradezu verrückt. Beinahe so verrückt, wie diese fundamentalistischen Irren mit ihren schwarzen Gewändern und grünen Tätowierungen.
Was mir aber fehlt, ist ein handfester Beweis. Bislang habe ich lediglich Bilder und Schriftfragmente auf einer Tempelmauer, eine blutrünstige Götterlegende und den Stern Sirius, der offenbar den Zeitpunkt von mindestens drei religiösen Feiern bestimmt. Im Grunde also nichts! Namen, die sich zufällig gleichen; Feste, die zufällig zeitlich zusammenfallen. Zufällig. ZUFÄLLIG! – Ich glaube aber nicht an Zufälle! Ich bin mir sicher, dass sich hinter all den verwirrenden Mosaiksteinchen ein Sinn, eine Wahrheit, finden lässt. Eine dunkle Wahrheit. Obwohl es in dieser Nacht angenehm kühl in meinem Zelt ist, habe ich den Eindruck, als würde mein Körper glühen. Wut und Hilflosigkeit lassen mein Blut wie Lava durch die Adern fließen. Bin ich wirklich dazu verdammt, untätig abzuwarten, was mit der kleinen Natascha geschieht?
Was soll ich tun? Was soll ich nur TUN?
19. Juli: Der große Tag. Er neigt sich schon fast wieder seinem Ende, und ich bin verwirrter denn je. Verwirrt, nun, weil eben nichts geschehen ist. Zumindest nichts von dem, was ich befürchtet hatte. Natascha ist wohlbehalten von ihrer Weihe zurückgekehrt, und kein Anzeichen deutet darauf hin, dass das Kind Opfer einer dämonischen Messe geworden ist.
Das einzig Bemerkenswerte war die kleine Prozession, die man zu Ehren des Mädchens veranstaltete. Schon früh am Morgen waren Mutter und Tochter von einer kleinen Abordnung in Empfang genommen worden. Ich war bereits eine halbe Stunde zuvor im Haus meines Onkels eingetroffen und konnte so vom Fenster des ersten Stockwerks aus vieles beobachten.
Man hüllte die Ehrengäste in weiße Mäntel und trug sie dann auf einer kostbar verzierten Sänfte zur koptischen Kirche. Einige der Bubasiten begleiteten den Umzug mit den Klängen von Rohrflöten, Trommeln, Tamburinen und Sistren. Die seltsam eindringliche Musik, die kostbaren, mit Goldfäden durchwirkten Kleider der Bubasiten, die mit Schnitzereien und Edelsteinen verzierte Sänfte, all das machte einen glauben, man beobachte den Einzug einer großen Königin, einer Hatschepsut, einer Nitokris oder gar einer Cleopatra.
Wieso aber wurde ein derartiger Aufwand für Attiya und Natascha betrieben? Ich konnte kaum glauben, dass jedes neue Mitglied der Gemeinde einen solch pompösen Empfang erhielt.
Waren also ›Repit‹ und ›Bint el-Werethekau‹ am Ende doch mehr als nur bedeutungslose Namen? Hatte ich durch diese Prozession nicht den letztendlichen Beweis dafür, dass die Frau und die Tochter meines Onkels als gottähnliche Wesen angesehen wurden? Als die leiblichen Nachfahren einer kriegerischen und blutrünstigen Löwengöttin?
In jenem Moment, als sich der Zug langsam die Straße hinaufbewegte, kostete es mich größte Willenskraft, um nicht mit durchgeladenem Gewehr aus dem Haus zu stürmen und Natascha aus den Fängen dieser teuflischen Sekte zu befreien. Mehrere Male war ich schon halb auf der Treppe, doch immer wieder hielt mich etwas davon ab, meine Tat auch auszuführen. Eine unheimliche Macht ließ meine Muskeln geradezu erstarren. Mitten auf der Treppe erhob sich eine unsichtbare Mauer, die ich einfach nicht überwinden konnte. Wandte ich mich von ihr ab, so löste sich auch die Blockade in meinen Gliedern.
Angesichts des
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