Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katzendaemmerung

Katzendaemmerung

Titel: Katzendaemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Gordon Wolf
Vom Netzwerk:
undramatischen Ausklangs der Feierlichkeiten müsste ich jetzt eigentlich dankbar für jene Mauer sein. Mein hysterischer Amoklauf hätte das Glück der Familie meines Onkels auf lange Sicht hin trüben können. Möglicherweise hätte ich es auch für immer zerstört.
    Allein die Vorstellung daran lässt mich schaudern. Auf jeden Fall aber hätte ich mich vor aller Welt als gefährlicher Irrer bloßgestellt. Wer weiß, vielleicht wäre ich für Jahre hinter den Gittern eines Kairoer Gefängnisses verschwunden. All dies ist – gottlob! – nicht geschehen und doch ist meine Anspannung nur geringfügig gewichen. Warum nur empfinde ich keine Erleichterung, keine Freude, über das Ausbleiben meiner düsteren Prophezeiungen? Bin ich etwa schon derart von meinen Entdeckungen besessen, dass ich – nur um recht zu haben – lieber das Unglück der Peachams in Kauf nähme, als einen Irrtum einzugestehen? Nur ein kranker Geist wäre dazu fähig. Wenn ich also noch nicht vollkommen verrückt geworden bin, dann müssen andere Faktoren für meine Skepsis verantwortlich sein.
    Doch welche?
    Ich fürchte, an dieser Stelle keine logischen, verstandesgemäßen Angaben machen zu können. Es ist vielmehr ein unbestimmtes Gefühl. Eine Ahnung. Zu viele Fragen sind auch jetzt noch offen. Wäre es nicht auch denkbar, dass jene Mauer, die mich im Hause festhielt, einer bösen Quelle entsprang? Vielleicht hinderte mich kein Schutzengel, sondern ein Dämon daran, Natascha zu retten. Vielleicht habe ich trotz allem kläglich versagt.
    Ich weiß, wie paranoid diese Gedanken klingen, doch ich kann mich ihrer nicht erwehren. Wenn ich in der heutigen Nacht noch etwas Schlaf finden will, muss ich mich fest auf übermorgen konzentrieren. Am 21. werden wir endlich die Bahn nach Kairo besteigen. Nach fast sechs Monaten voller kräftezehrender Arbeit ist nun der lang ersehnte Tag der Abreise gekommen! Endlich. Endlich.
    Ich fiebere schon jetzt der Stunde entgegen, in der die Kreidefelsen von Dover wieder vor mir auftauchen werden. Wenn ich gleich die Augen schließe, werde ich in Gedanken bereits durch Bloomsburys Straßen schlendern. England! Genüsslich werde ich auf der Promenade von Brighton einen Tee schlürfen oder über die Hügel von Yorkshire reiten. In weniger als dreißig Stunden geht es los. Stunden, die mir wie Tage erscheinen. Warum nur kann sich nicht alles in nichts auflösen: Zeit, Entfernung und wirre Vorahnungen.
    Wie sehr wünschte ich mir, schon morgen früh in meinem Zimmer in London aufwachen zu können. Ich würde auf meinen kleinen Balkon hinaustreten, nach Norden hinüber zum Regent’s Park blicken und alle beunruhigenden Vorfälle der Reise wären längst vergessene Traumgespinste.
    Leider bleibt dies nur eine unerfüllbare Fantasie. Doch die Zeit arbeitet für mich. Noch sechsundzwanzig Stunden und zweiunddreißig Minuten …
     
    Die letzten beiden Seiten des Tagebuches waren ein einziges chaotisches Gekritzel. Blatchford vergaß nicht nur die Zeitangaben, auch sein Stil zeigte eine dramatische Wandlung. Viele Sätze waren nur noch rudimentär vorhanden; auf mich machten sie regelrecht den Eindruck von gequälten Aufschreien. Ein Teil der Tinte war verwischt und daher unleserlich. Weinte Blatchford etwa, als er diese Zeilen schrieb? Ich wusste es nicht; die Vermutung lag jedoch nahe.
     
    Tot! Sie sind tot. Oh, allmächtiger Gott! Onkel Norm, Attiya – tot, TOT! Nur Natascha hat überlebt, wie durch ein Wunder. Doch kann man angesichts dieses Wahnsinns überhaupt von einem Wunder sprechen? Oh, Gott, warum hast du uns – mir – nur diese Prüfung auferlegt? Warum nur?
    Wie konntest du es zulassen? Schlangen – das ganze Haus – ein einziges wimmelndes Nest voller Schlangen! Es war ein Verbrechen. Ohne jeden Zweifel. Mein Onkel und meine Tante sind die Opfer eines feigen Mordanschlages geworden! Wie sonst hätten mehr als drei Dutzend Kobras in ihre Schlafgemächer dringen können?! Ich habe sie selbst gesehen – Uräen – überall wanden sich diese schwarz-braun-gefleckten Bestien. Fast schien es, als sei diese Brut von Sachmets Haupt direkt in das Haus meines Onkels gekrochen.
    Die Leichen – verdrehte Gliedmaßen, schreckgeweitete Augen. Oh, mein Gott, der Tod hat sie nicht im Schlaf überrascht. Nein, selbst diese Gnade wurde ihnen verwehrt. In vollem Bewusstsein des unausweichlichen Endes – das tödliche Gift bereits im Blut – standen sie Auge in Auge dem grausigen Feind gegenüber. Keine Chance.
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher