Katzendaemmerung
waren entstellt. Angeschwollene Bisswunden. Nicht einmal ihre Gesichter – hätte ich mich doch nur abwenden können! Bilder, schreckliche Bilder, die mich bis ans Lebensende verfolgen werden.
Ich träume, hoffe, bald aufwachen zu können. Es MUSS einfach ein Albtraum sein.
Es hilft nichts. Nichts hilft mehr – muss mich konzentrieren – muss nachdenken – ruhig nachdenken.
Natascha. Sie lebt! Dies ist der einzige feste Punkt, an dem ich mich inmitten dieses Strudels orientieren kann. Sie lebt, obwohl man allein in ihrem Bett sieben Schlangen fand. Aber keines der Tiere hat zugebissen. Das Mädchen hat nicht einmal ihre Gegenwart gespürt. Unglaublich. Ein Wunder. Ein Wunder? Vielleicht auch nicht; immerhin wäre es denkbar – nein, NEIN! Es ist jetzt nicht die Zeit, um meine wirren Fantastereien aufleben zu lassen. Ich muss mich an die Fakten halten. Nur die Fakten zählen. – Norman und Attiya sind tot. Natascha lebt. Ich muss mich um das Mädchen kümmern. Momentan hat Amr Karim sie in sein Haus aufgenommen. Für das Erste ist sie also in Sicherheit. Gut. Was ist aber mit den Mördern? Abû Tarik und seine Männer haben die Ermittlungen aufgenommen, aber bislang fehlt noch jeder Hinweis. Niemand will etwas gesehen oder gehört haben. Der halbe Ort könnte an dem Anschlag beteiligt gewesen sein. Kaum jemand hat einen Hehl daraus gemacht, wie sehr man Attiyas und Nataschas Gegenwart missbilligte. Vor allem nach dem Tod des kleinen Selim. Die Familie des Schneiders – sie hätte das stärkste Motiv. Aber ohne Beweise? Jeder, wirklich jeder hätte es tun können. Zweifle daran … jemals finden wird … dunkler Abgrund … gestürzt?
Aus Glauben ist Gewissheit geworden. Nataschas Weihe war tatsächlich mehr als eine gewöhnliche Firmung. Es war eine Krönung! Amr Karim weigert sich standhaft, mir Natascha auszuhändigen. Anfangs glaubte ich nur, etwas falsch verstanden zu haben, doch Karim meint es ernst. Er behauptet doch tatsächlich, ich hätte keinen Anspruch auf das Mädchen. Sie sei nun eine Waise, und als geweihte Tochter von ›El-Werethekau‹ trete Natascha nun die Nachfolge ihrer Mutter an. »Bint el-Werethekau ist unser neues Oberhaupt«, erklärte mir Karim. »Und wir Bubasiten sind ihre neue Familie.«
Dieser Albtraum will einfach kein Ende nehmen. Ich habe versucht, mir bei Abû Tarik Beistand zu holen, doch der Kaimakan will sich nicht in ›religiöse Angelegenheiten‹ einmischen.
Religiöse Angelegenheiten! Verdammt, es geht hier nicht um Religion. Ich bin Nataschas Cousin, doch Tarik scheint dies partout nicht zu begreifen. Ich solle doch ein Gesuch beim englischen Gouverneur in Kairo einreichen, schlug er mir vor.
Es ist verrückt, doch habe ich eine andere Wahl? Die Mühlen der Bürokratie mahlen jedoch sehr langsam; vielleicht dauert es Wochen, wenn nicht gar Monate, bis ich einen Bescheid erhalte, und jeder weitere Tag an diesem Ort erscheint mir wie ein nicht enden wollender Nachtmahr.
Ich kann aber nicht abwarten. Wenn ich noch länger in Bubastis verweile, muss ich nicht nur um mein körperliches, sondern auch mein geistiges Heil fürchten. Schon jetzt spüre ich, wie ich unausweichlich dem Wahnsinn verfalle. Fantasien, Ängste, Visionen – so stark wie nie zuvor – rauben mir den ersehnten Schlaf.
Ich bin mir nun sicher, die wahren Hintergründe der Feierlichkeiten um Natascha verstanden zu haben – die grässliche Wahrheit.
Trotz allem aber ist sie meine Cousine ein Kind. Ich werde sie auf keinen Fall in den Händen dieser Sekte lassen.
Vielleicht kann ich den Bann – den Fluch, der über ihr schwebt, brechen.
Heute Nacht. Ich werde Natascha befreien. Mein Revolver ist geladen. Sollte es erforderlich sein, werde ich auch töten. Ich habe keinerlei Skrupel mehr, mein Leben oder das anderer zu gefährden. Gott möge mir vergeben, aber ich werde die Freiheit des Kindes mit allen Mitteln verteidigen. Entweder gelingt mir zusammen mit Natascha die Flucht, oder aber ich werde den morgigen Tag nicht mehr erleben. Mein Schicksal liegt in Gottes Händen. Unser aller Schicksal liegt in Seinen Händen!
Mit diesen Worten endeten die Aufzeichnungen des Julius Blatchford. Ich schloss die Kladde, doch mein Geist verweilte auch jetzt noch in Zagazig, jenem Ort am Rande der Ruinen von Bubastis. Und bei den Menschen. Fast meinte ich Abû Tarik, Omohid, Amr Karim und Natascha vor mir stehen zu sehen. Wie glitzernde Nachbilder flimmerten sie in meinem Bewusstsein.
Was war aus
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