Katzenhöhle
Flamencoabend gehen wollte. Vor fünf Wochen war der Kurs losgegangen, und sie war erst dreimal dort gewesen – bei zwei Kindern und einem Mann mit unmöglichen Dienstzeiten nicht erstaunlich. Lilian fand, Maikas Bestrebungen nach Selbstständigkeit solle man bzw. frau tatkräftig unterstützen. Außerdem war sie der Meinung, dass Maikas Versuche, sich persönliche Freiräume zu schaffen, auch Helmut zugute kämen. Er wirkte ausgeglichener als noch am Anfang des Jahres.
Im Büro erfuhr Lilian, dass Larissa Gregori angerufen und eine Handynummer hinterlassen habe. Larissa meldete sich sofort und sagte, sie würde in einer halben Stunde vorbeikommen. Nur fünfzehn Minuten später tauchte sie auf, in einem Mantel mit auffallendem Zebramuster. Den hatte Lilian schon einmal gesehen. Dann fiel ihr ein, wo das gewesen war: vor dem Sorat Hotel. Also war das die Frau, die Lilian am Vormittag um ein Haar angefahren hatte. Demnach war Larissa ohne Umwege nach Regensburg gefahren, nachdem sie sich von Billy Moser, dem künstlerisch veranlagten und desillusionierten Barkeeper, verabschiedet hatte.
Larissa Gregori setzte sich ohne Aufforderung und zündete sich ohne zu fragen eine Zigarette an. Lilian wies sie darauf hin, dass Rauchen nicht erlaubt sei. Immerhin war das ihr Büro. Die nach unten gezogenen Mundwinkel der Frau wurden länger, ihr Gesichtsausruck verfinsterte sich noch mehr, wie eine Bulldogge sah sie jetzt aus. Trotzdem hatte sie eine unerklärliche Ausstrahlung. Lag das an den leuchtend hellgrauen Augen, die sich wie Scheinwerfer auf diese nervtötende Polizistin hefteten?
»Haben Sie sich die Stadt angeschaut?« fing Lilian im Plauderton an, um die Bulldogge milder zu stimmen.
»Wohl kaum, bei diesem Sauwetter.« Das war Larissas ganze Erklärung, wie sie den Tag verbracht hatte. »Ich bin immer noch fix und fertig. Das mit Mira nimmt mich wirklich mit.«
Lilian nickte lange und verständnisvoll. »Es trifft einen, wenn man plötzlich auf der Straße steht.«
»Ich bitte Sie! Mira war viel mehr als nur meine Arbeitgeberin.« Mit den Zähnen bearbeitete sie hingebungsvoll ihre Lippen. Schade um den hellrosa Lippenstift. »Ich war ihre Freundin, ihre Vertraute, ihre …«
»Warum hat sie Ihnen dann nicht gesagt, wo sie abgestiegen ist? Warum sie einfach aus London verschwunden ist?«
»So war sie eben. Manchmal brauchte sie ihre Ruhe. Sie führte ein sehr anstrengendes Leben.«
»Wie das?«
Die Scheinwerfer im Gesicht der Bulldogge suchten die Zimmerdecke ab, als sei dort ein spektakulärer Fund zu erwarten. Dann senkten sie sich wieder und beamten Lilian fast aus ihrem Stuhl. »Reisen um die ganze Welt, Engagements in großen Häusern, glänzende Auftritte – das ist die eine Seite. Die andere ist weniger schillernd: harte, unablässige Arbeit, Entbehrungen und Verzicht, unbarmherzige Kritiker, die einen heute in den Himmel loben und morgen in die Hölle verdammen. Und natürlich die Konkurrenz: junge, hervorragend ausgebildete Tänzerinnen, die nur darauf warten, dass die angesehene Primaballerina einmal zu oft stolpert.«
»Hat Mira deshalb mit dem Trinken angefangen?«
»Nicht nur. Nach den Auftritten ist sie jedes Mal zusammengebrochen. Die viele Arbeit vorher, endloses Trainieren, diese ständige Disziplin mit dem Essen, ihre Schlafstörungen – und endlich ein paar Momente voller Erfolg. Da hat sie sich dann völlig verausgabt, danach aber war sie wie ausgebrannt. Wenn es nur schlechte Kritiken gab, war es noch schlimmer. Es war ein Teufelskreislauf. Als sie zu trinken anfing, wurde es nicht besser. Sie wusste, dass zu viel Alkohol ihre körperliche Leistungsfähigkeit gefährden würde, andrerseits konnte sie nur so abschalten.« Die Scheinwerfer wurden trübe. »Ich versuchte, sie davon abzuhalten. Aber bei Mira hatte niemand eine Chance.«
»Und Cedric Ormond?«
»Der?« Ein ironischer Zischlaut. »Der hat sich auf seine Weise gedrückt. Nach jeder Aufführung hat er sich ein anderes Bett gesucht. Es gab Zeiten, wo Mira ihn nur bei den Proben gesehen hat.«
»Was hat sie dazu gesagt?«
»Na, was wohl? Sie hat getobt! Seine dauernden Abenteuerchen gingen ihr auf die Nerven – und sie schadeten ihrer Publicity. Sie war so sauer, dass sie Cedric nicht einmal aus Regensburg angerufen hat. Nur mich.« Das klang stolz. »In letzter Zeit hat sie immer öfter davon geredet, dass sie nicht mehr lange mit ihm zusammenarbeiten würde.«
»Hatte sie denn Alternativen?«
»Durchaus. Ihr Engagement
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