Katzenhöhle
in London wäre sowieso nur bis Ende dieser Saison gegangen. Es gab zwar Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung, aber Mira war nicht begeistert. Sie wollte weg aus London.«
»Wohin? Nach Paris?«
»Alle Achtung.« Jetzt hatten die Scheinwerfer wieder ihre ursprüngliche Leuchtkraft erreicht. »Woher wissen Sie das?«
»Von Ihnen.«
Auf Larissas Stirn erschienen tiefe Falten. »Wieso, ich …? Ach, so! Das ist mir gestern Abend rausgerutscht, am Telefon, nicht wahr? Da haben Sie aber gut zugehört.«
»Das ist mein Job.« Lilian dachte nach. »Welche Konsequenzen hätte es für Cedric Ormond gehabt, wenn Mira nach Paris gegangen wäre?«
»Er hätte sich eine andere Primaballerina suchen müssen. Eine, die wirklich was aushält. Er inszeniert immer nur sehr eigenwillige Stücke und legt Wert auf absolute Perfektion.«
Ein mechanischer Griff in die Handtasche, deren Muster genauso schrill war wie das des Mantels. Nur hatte hier eine braun-weiß-gefärbte Kuh Pate gestanden. Gerade als Larissa sich eine Zigarette anzünden wollte, sah sie Lilians zusammengezogene Augenbrauen. Wortlos ließ sie Zigaretten und Feuerzeug wieder verschwinden.
»Und welche Konsequenzen hätte es für Sie gehabt?«
»Gar keine. Ich wechsle gerne den Wohnort. Ich bin in der früheren Sowjetunion aufgewachsen, in Weißrussland. In meiner Familie war es normal, dass wir dauernd umgezogen sind. Auch vor der Wende.«
»Was hätte man an der Pariser Oper zu Miras Alkoholproblem gesagt?«
»Sie hatte doch kein Alkoholproblem! Also wirklich, das ist maßlos übertrieben. Sie hat eben mehr getrunken, als gut für sie war. Immerhin war sie Tänzerin. Wissen Sie, was das heißt? Da zählt jeder Tropfen. Und wie gesagt – ich versuchte ja, sie davon abzubringen.«
Bei 1,9 Promille im Blut musste Mira einige Tropfen zu sich genommen haben.
»Sie haben Mira also unter Druck gesetzt.«
»Das war wiederum mein Job.«
»Was ist bei den Verhandlungen mit Paris herausgekommen?«
»Die Entscheidung steht noch aus.«
Was für eine seltsame Formulierung. Warum sprach sie in der Gegenwart?
»Das ist doch jetzt hinfällig, oder?«
Zuerst sagte sie nichts, als ob sie die Frage nicht verstanden hätte. Dann nickte sie schnell.
»Wann hat Mira Sie angerufen?«
»Dienstagabend, gegen zehn, halb elf.«
»Was hat sie gesagt?«
»Nicht viel. Nur, dass ihr diese Pause gut tut. Und wenn ich wissen will, wo sie steckt, dann soll ich sie selber suchen. Ihre Nummer war auf meinem Display, so dass ich gleich danach versuchte, sie zurückzurufen. Aber da hat sich immer nur eine T-Net-Box eingeschaltet, mit einer unverbindlichen Ansage.«
»Was haben Sie dann gemacht?«
»Ich hab mit Cedric telefoniert. Er tat so, als ob ihn das alles nicht interessierte. Dann hab ich am Heathrow Airport angerufen und für den nächsten Tag einen Flug nach München gebucht.«
»Wann sind Sie dort angekommen?«
»Gestern Mittag, kurz vor eins.«
»Bei Billy Moser sind Sie erst um halb zehn abends aufgekreuzt. Wo waren Sie in der Zwischenzeit?«
»Ich dachte, dass Mira vielleicht ihre alten Kontakte in München auffrischen wollte. Also bin ich zur Staatsoper und hab die eine oder andere Adresse von früher abgeklappert. Aber niemand hatte was von ihr gehört.«
Sie griff wieder in die Handtasche, um nach Zigaretten und Feuerzeug zu suchen. Als sie merkte, was sie tat, stand sie einfach auf und ging hinaus, um auf dem Gang zu rauchen.
Lilian ließ sie gehen. Sie gönnte ihr die Droge, denn offenbar hatte sie diese bitter nötig.
8
Miriam war in ein Freudengeheul ausgebrochen. Es kam nicht oft vor, dass ihre Mutter sie in trauter Zweisamkeit zu Bett brachte.
»Ist das schön, Mama. Bitte noch eine Geschichte!«
»Miriam, ich hab dir doch schon drei vorgelesen. Außerdem bist du groß genug, um selber welche zu lesen.«
»Aber so ist es viel kuscheliger.«
Lilian gab nach. Das fiel ihr nicht schwer. Sie genoss diese seltenen Momente voller Frieden und unbegrenzt zur Verfügung stehender Zeit. Außerdem hatte sie noch einen anderen Grund, um möglichst viel von Letzterem zu vertrödeln. So musste sie nicht so bald zu Davids Geburtstagsfeier mit all den furchtbar netten, gutgelaunten Leuten, schätzungsweise zu 98 % Juristen. Die hatte Lilian besonders gern. Was würde er sagen, wenn sie erst am Schluss aufkreuzte oder ihm ihr Geschenk einfach morgen in die Hand drückte? Am Anfang neuer Ermittlungen wäre David nicht überrascht, wenn sie ihn einmal mehr
Weitere Kostenlose Bücher