Katzenhöhle
anstatt ihn zu begrüßen.
Er sagte nichts, schaute sie nur an auf die ihm eigene, unergründliche Art. Die obligatorisch nach hinten gebundenen Haare verliehen ihm den gewohnt strengen, sehr männlich wirkenden Ausdruck. Aber sonst sah er ganz anders aus: ausnahmsweise kein Drei-Tage-Bart sondern frisch rasiert, schickes Hemd, eine bunte Weste mit eingearbeitetem Glanzgarn, schwarze Hose. Hatten sich seine zerschlissenen Jeans endlich in Luft aufgelöst? Da wurde ihr klar, warum er sich so herausgeputzt hatte. Er hatte Geburtstag – den Vierzigsten noch dazu!
»Herzliche Glückwünsche!« sagte sie möglichst schnell und möglichst strahlend. Wenn sie nicht so überrascht über diese Stille hier gewesen wäre, hätte sie ihn auch stürmisch umarmt. Aber er sah ohnehin nicht so aus, als ob ihm das willkommen wäre. Also drückte sie ihm nur ihr Geschenk in die Hand.
David zog sie in die Diele, nahm ihr den Mantel ab, hängte diesen an einen Garderobenhaken und führte sie ins Wohnzimmer. Schummriges Kerzenlicht, gedämpfte Musik – den Sänger kannte sie, ein Italiener mit einer herrlichen Stimme und guten Texten, wie hieß der noch gleich? –, ein für zwei Personen gedeckter Tisch. Offenbar hatte Viktor das Geburtstagskind beraten, seit einiger Zeit waren die beiden richtige Busenfreunde. Die Auswahl der fein bestickten Tischdecke und des zarten Porzellans ließ eher auf den exquisiten Geschmack von Viktor als auf den geradlinigen von David schließen. Ob auch die bunte Weste Viktors Werk war?
Wortlos holte David eine Sektflasche aus dem bereitgestellten Sektkühler, schenkte zwei Gläser ein und reichte Lilian eines davon. Die hatte inzwischen das Etikett auf der Flasche studiert. Das war ja gar kein Sekt – das war Champagner! Offenbar war die Krise größer, als sie angenommen hatte. Denn normalerweise trank er weder das eine noch das andere, egal zu welchem Anlass.
Sie hoben die Gläser. Lilian wollte schon einen unverfänglichen Trinkspruch äußern, doch etwas in seinem Gesicht ließ sie innehalten.
»Bevor du mir ein langes, glückliches, erfülltes Leben wünschst, wünsche ich mir etwas von dir, Lilian.«
Was kam jetzt bloß? Dass sie einmal im Monat auf seine Kinder aufpasste, wenn seine Ex-Frau verhindert war? Dass sie alle seine Pflanzen goss, wenn er auf unbestimmte Zeit in Urlaub oder wieder aus beruflichen Gründen für ein halbes Jahr nach Kanada verschwand? Sie schätzte, dass es mindestens sechzig Pflanzentöpfe waren.
»Ich wünsche mir zwei Dinge: erstens einen Tanz mit dir und zweitens, dass du nicht schon in zehn Minuten wieder wegsaust. Ganz gleich, ob dich dein Kollege Helmut zu einem spektakulären Fall ruft oder ob man dir wegen stets vorbildlicher Pflichterfüllung das Bundesverdienstkreuz verleihen will.«
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
Kling Klang – der helle Ton der aufeinander stoßenden Gläser hinderte sie daran. Sein Lächeln und sein halb verschmitzter, halb bittender Blick taten ein Übriges.
»Also? Erfüllst du meine bescheidenen Wünsche?«
»Aber nur, wenn du mir jetzt sofort erklärst, wo deine anderen Gäste sind.«
»Es gibt keine anderen Gäste.«
»Und Petra?«
»Auch keine Petra.«
»Aber heute ist doch dein vierzigster Geburtstag!«
»Na, und? Kannst du nicht verstehen, dass ich diesen besonderen Abend mit dir alleine verbringen will?«
Kaum zu glauben. Petra war nicht nur eine langjährige, enge Freundin Davids sondern auch die Frau eines seiner besten Freunde und Arbeitskollegen, der bis auf weiteres in Kanada weilte und so seine schwangere Frau in Davids Obhut zurückgelassen hatte.
»Warum sagst du nichts, Lilian?«
»Was soll ich sagen?«
»Dir fällt doch immer was ein. Streng dich ein bisschen an.«
»Hm … Mir fällt nur noch eins ein: Prost!«
Ein erneutes Kling Klang. Der Champagner schmeckte hervorragend. Der musste ihn einiges gekostet haben.
»Und was ist nun mit dem Tanz?«
David stellte die Gläser auf den Tisch, legte seine rechte Hand um Lilians Taille und nahm ihre rechte Hand in seine linke. Er zog sie zu sich heran und fing an, sich langsam mit ihr zur Musik zu bewegen. Zuerst war sie steif, versuchte wie immer, die Führung zu übernehmen. Doch dann wurde sie nachgiebiger, vergaß alle Bilder und Gedanken in ihrem Kopf. Davids Körper war ihr nah, sein Geruch erfüllte sie, ein feiner, erdiger Männerduft. Ihr Tanz war wie ein sanftes Sich-Wiegen, Raum und Zeit schienen zu verschwinden, nur diese leicht
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