Katzenhöhle
Das Thema schien ihm zu gefallen, denn er erwärmte sich für die verschiedenen Positionen der Föten im Mutterleib und der dementsprechend unterschiedlichen Versorgungslage genauso wie für alle denkbaren Umwelteinflüsse nach der Geburt. Dann gab es noch verwischte Abdrücke, die in den wenigen, klar erkennbaren Fragmenten mit den Handschuhabdrücken aus dem Badezimmer übereinstimmten.
Lilian klopfte mit dem Kugelschreiber auf den Bericht. Bumm-bumm, bumm-bumm, bumm-bumm.
»Wie wär’s mal mit ’nem anderen Rhythmus? Mit was Fetzigerem vielleicht?« Helmut trommelte mit seinen Handflächen in einem flotten Takt auf den Tisch und trällerte dazu den bekannten Ohrwurm aus dem Radio: »Hey-ey, ab in den Süüüden, der Sonne hinterher, eyo was geht …«
Passt zum Wetter, dachte Lilian grimmig. »Bevor du noch wirklich davon fliegst – hör mal zu, Herr Kriminalhauptkommissar in spe. Mir ist klar, warum Lenas Fingerabdrücke auf der Marmorplastik sind. Sie wird sie mal aus dem Regal genommen haben, zum Anschauen oder Abstauben. Aber warum sind die von Mira drauf?«
»Die Statue hat ihr gefallen.« Er verzog das Gesicht. »Schwer zu glauben – nachdem, was Billy, das verkannte Genie erzählt hat.«
»Lena hat sogar gesagt, ihre Schwester habe alle Figuren gehasst und die, von der wir jetzt reden, ganz besonders.«
»Weißt du, was mich noch wundert? Mira ist am Freitag vor ihrem Tod bei Lena aufgekreuzt und hat offenbar die ganze Zeit im Schlafzimmer geschlafen. Lena hat solang auf dem Gästebett im Arbeitszimmer genächtigt. Würdest du einer Schwester, die du seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hast und die von deiner eigenen Mutter dauernd bevorzugt wurde, einfach so dein Schlafzimmer überlassen?«
»Lena wusste nicht, wie lange Mira bleiben wollte. Vielleicht hat sie nur mit ein, zwei Nächten gerechnet«, sagte Lilian. »Mira befand sich offenbar in einer persönlichen Krise, schon seit einiger Zeit. Es war so schlimm, dass sie mit dem Trinken angefangen hatte. Sie wollte irgendwo abtauchen, sich klar werden, wie’s weitergeht. Aber warum?«
»Weil sie von den Affären ihres Freundes Cedric genug hatte? Mit seiner Lebens- und Arbeitsweise auf Dauer nicht zurecht kam? Immerhin hat sie erst zwei Wochen vor ihrem Tod ein Appartement in London gekauft, wollte also aus seiner Wohnung ausziehen.«
»Das wollte sie schon ab dem Zeitpunkt, als sie bei ihm eingezogen ist.« Lilian überlegte. »Aber wenn sie erst vor so kurzer Zeit eine Wohnung gekauft hat, dann ist es doch unwahrscheinlich, dass sie weg wollte aus London – nach Paris oder sonst wohin.«
»Bei ihrem Verdienst konnte sie sich sicher mehr als nur eine Bleibe leisten. Wenn ihr die Sache mit Paris ernst war, dann hätte der feine Pinkel Cedric Ormond ganz schön in der Patsche gesessen. Wo hätte der auf die Schnelle eine neue Primaballerina herbekommen?«
Lilian tat es fast in der Seele weh, diesen von ihr auserkorenen Edelmann als möglichen Täter in Betracht zu ziehen. Trotzdem dachte sie angestrengt nach.
»Am Abend von Miras Tod ist er kurz nach halb zehn in Lenas Wohnung aufgetaucht«, sagte sie schließlich. »Lena hat Mira um Viertel nach acht gefunden, Cedric war schon seit sechs Uhr in Regensburg. Das Lokal, in dem er zu Abend gegessen hat, hat er um halb acht verlassen. Danach ist er in der Altstadt herumgeschlendert.«
»Bis halb zehn? Bei diesem Sauwetter? Dass ich nicht lache!«
An dem Abend hatte es tatsächlich geregnet. Lilian fühlte einen Stich in der Herzgegend. Hatte Cedric sie belogen?
»Lena ist spätestens um Viertel vor acht von zu Hause weg, um nach Nürnberg zu fahren«, sagte sie mühsam. »Cedric kennt Lenas Adresse. Angenommen, er fährt hin und läutet. Mira sitzt gerade in der Badewanne. Sie ist zwar ziemlich überrascht, aber sie macht natürlich auf.«
»Sagen wir mal, er will sie dazu überreden, nach London zurückzukommen. Es kommt zu einer Szene, die üblichen Vorhaltungen von ihrer Seite, dann geht es um ihre Konkurrenz bei den Bühnenproben, der Streit eskaliert. Um sich zu beruhigen, setzt sie sich aufs Sofa und gießt sich noch einen Whisky ein. Er aber packt die Statue und zieht ihr eins über. Als er sieht, was er da angerichtet hat, wischt er schnell alle Fingerabdrücke in der Wohnung ab, viele sind’s eh nicht. Dann macht er noch ein paar deutlich sichtbare Abdrücke aufs Fensterbrett und die Badezimmertürklinke und lässt sicherheitshalber gleich das Fenster im Bad auf, so dass wir
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