Katzenhöhle
Oberpfalz, sexy Hexies, stinknormale Burgfräuleins und exotische Meerjungfrauen drängelten sich auf drei Etagen, lauschten teils feinsinniger, teils fetziger Musik in den ehrwürdigen Gewölben, tranken, lachten, tanzten und schwitzten.
Auch Lena schwitzte. Das schwarze Lackkostüm mit weißem Fellbesatz ließ keinen Tropfen Feuchtigkeit nach außen, die Schminke im Gesicht musste schon längst verwischt sein. Julian versicherte ihr unentwegt, ihre Katzenmaske sei noch tipptopp in Ordnung. Aber sie misstraute ihm. Er war anders als sonst, zerstreut, brütend, ließ sich nicht anstecken von der ausgelassenen Stimmung. Wie offenbar auch er fragte sich Lena, was sie hier solle. Sie brauchte keine Ablenkung, ihre Gedanken kreisten unablässig um die gleichen Themen, endeten bei Mira, wie gehabt. Egal, wo sie war, zu Hause oder inmitten dieser ausgelassenen Menge. Ob sich das je ändern würde?
Sie ging zur Toilette, blieb vor der Theke im ersten Stock stehen, gab vor, der Sängerin dort zuzuhören. Kein Ton drang an ihr Ohr, sie sah nur das glitzernde Kleid der Frau, die Grimassen um sich, all die bunten Farben und wogenden Menschen. Es war so wie immer. Sie gehörte nicht dazu, fühlte sich allein, ausgeschlossen. Ihr Platz war nicht hier.
Auf dem Weg nach unten begegneten ihr Neuankömmlinge. Sie brachten frische Luft von draußen mit.
Ein weißer Engel mit seltsam mürrischem Gesicht, dessen strahlende Augen wie Scheinwerfer leuchteten, und eine Balletttänzerin, die in Spitze und Tüll zu versinken schien. Beide kicherten unablässig und schmiegten sich eng an einen diabolisch aussehenden Vampir. Nein, das traf es nicht, diese Eleganz konnte nur zu einem Edelmann gehören. Graf Dracula selbst gab sich die Ehre. Seine Augen erinnerten Lena an glühende Kohlen, das weißgeschminkte Gesicht war fast bleicher als seine Haare, die – so wusste sie sofort – nicht kurz, sondern nur nach hinten gebunden waren. Auch nicht in alter Faschingsmanier gefärbt. Überall hätte sie ihn wieder erkannt – diesen Mann, ihren Mann.
Auch er blieb stehen, ließ die Hände seiner Begleiterinnen los, musterte sie unverwandt. »Was sehe ich da? Ist das ein Kätzchen oder eine Raubkatze?«
Sie blieb ihm die Antwort schuldig, drängte sich an ihm vorbei, ohne ihn zu berühren. Und doch sehnte sie sich nach seiner Nähe, alles in ihr schrie nach ihm. Aber das Einzige, was sie tun konnte, war das Weite zu suchen. Nichts hatte sich verändert.
Julian lehnte an der Wand im großen Saal, verfolgte stumm das übermütige Geschehen auf der Tanzfläche. Warum ließ nicht wenigstens er sich treiben, in Harmonie mit seiner Maske? Sollte sie einfach gehen und ihn seinen Hoffnungen überlassen, die sie in seinen Augen zu sehen glaubte? Doch da hatte er sie schon bemerkt, erfasste im Nu die Situation.
»Ich bring dich nach Hause.«
Sie widersprach ihm nicht. Sie wusste genau, dass sie weg musste. Auch wenn sie ihn nicht getroffen hätte – den Mann ihrer Schwester.
Die beiden hatten sie ausgetrickst. Aber Lilian war froh darüber. Genau das brauchte sie jetzt: von Musik vibrierende Luft, ein wenig Frivolität, fremde Gesichter. Das letzte Mal war sie vor sechs, sieben Jahren hier gewesen. Es war genauso wie damals. Wilde Klänge, übermütiges Gelächter, schnelle Schritte auf dem Parkett, Farbfetzen und Illusionen anderer Welten. Was für ein Gegensatz zum Einheitsgrau draußen auf den Straßen. Hier drinnen lockten lange Nächte und ein Vorgeschmack auf bunte Frische, die schon bald die Oberhand gewinnen würden.
Hanna hatte tief in der Bauchtanzkiste gewühlt und wahre Schätze hervorgezogen. Das Klimpern der Kupfermünzen auf dunkelblauer Seide reihte sich nahtlos ein in die verheißungsvollen Töne zwischen den alten Mauern im Leeren Beutel. Ein Fest für alle Sinne – hier eine grüngewandete Waldfee mit Efeu in den Haaren, dort ein schillernder Schmetterling, der sich von Maske zu Maske tanzte, da ein Zauberer mit funkelnden Sternen auf dem nachtschwarzen Umhang. Nur Viktor sah so schrecklich normal aus in seiner Al-Capone-Verkleidung mit Anzug, Fliege, Hut. Gut, dass Lilian auf Schnurrbart und Handschuhe bestanden hatte.
Hinter der Kasse steckte Hanna die Karten ein. Schon in Schale und mit einem fröhlichen »Überraschung!« auf den Lippen hatte sie Viktors Esszimmer gestürmt und Lilians Verkleidung gleich mitgebracht. Die gefiel sich auf Anhieb als laszive Charlestondame mit Federboa und Zigarettenspitze, auch wenn
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