Katzenhöhle
wie sanft tropfendes Wasser, wie eine Woge voller Leidenschaft als Vorgeschmack auf die Ewigkeit. Noch nie hatte Cedric eine Frau so tanzen gesehen – außer Mira. Er hatte viele Tänzerinnen gesehen: schlechte, mittelmäßige, gute, hervorragende. Doch selbst die Beste war nicht vergleichbar mit Mira gewesen – und mit Lena, wie er jetzt erkannte. Dass sie auch tanzte, wusste er bereits. Ihr Körper hatte es ihm verraten. Die wunden Zehen ebenso wie die harten Muskeln. Natürlich fehlte ihr ein konsequent hartes Training und der Schliff durch einen wirklich professionellen Trainer, das sah er sofort. Es würde lange dauern, bis sie Miras Perfektion erreichte. Die Frage war, ob es überhaupt zu schaffen war. Auf jeden Fall wäre es eine riskante Angelegenheit, doch nicht nur deshalb … Aber wenn es jemand zuwege bringen konnte, dann er. Er hatte bisher alles erreicht, was ihm wichtig war. Lena besaß diese Leichtigkeit und Tiefe der Bewegungen, nach der er sein Leben lang gesucht und bis jetzt nur bei Mira gefunden hatte. Sie war eins mit sich selbst. Es wäre einen Versuch wert.
Cedric machte ihr kein Zeichen, stand nur da und schaute zu. Im Verborgenen. Vielleicht würde der Mann vom Zimmerservice Lena beim Frühstück erzählen, dass er sich nach ihr erkundigt hatte. Aber das machte nichts. Er würde sowieso wiederkommen. Er hatte noch etwas zu tun.
»Da ist keiner ein Kind von Traurigkeit, weder Cedric noch Larissa. Wenn deine Herzallerliebste das Zeitige segnet, gehst du doch nicht zum Tanzen, oder?«
Helmut erwartete keine Antwort. Er tunkte sein Hörnchen in den Kaffee, den Lilian für ihn bereitgestellt hatte. Wenigstens etwas, wenn sie ihn schon am Sonntagvormittag ins Büro zitierte. Maika hatte das Gesicht verzogen, aber nichts gesagt. Ihr Verständnis tat ihm gut.
»Was ist mit Cedrics Leihwagen? Hat den jemand in der Nähe von Lenas Wohnung gesehen?«, fragte Lilian.
»Niemand. Auch von den Taxifahrern hat sich keiner daran erinnert, ihn dort hinkutschiert zu haben. Aber freu dich nicht zu früh, vielleicht meldet sich doch noch einer.«
Er sah es Lilian an, dass ihr der Gedanke nicht gefiel, Cedric als Täter zu überführen. Trotzdem wirkte sie zu allem entschlossen.
»Glaubst du etwa, ich bin parteiisch? Von wegen, ich will diesen Fall lösen. Und den Täter überführen. Egal, wer’s gewesen ist.«
Sie schaute tatsächlich so aus, als sagte sie die Wahrheit. Was war plötzlich in sie gefahren? Heute war Wochenende, sie hatten nichts Besseres zu tun, als im Büro zu sitzen – doch ihre schlechte Laune vom Vortag war wie weggeblasen. Ob es doch noch zu einer Art der Verständigung zwischen ihr und David gekommen war? Sollte er mal vorsichtig anklopfen? Lieber nicht, solche dummen Fragen konnte sie gar nicht leiden.
»Vor Lenas Wohnung hat neulich nachts einer rumgelungert«, sagte sie nachdenklich. »Vielleicht war das Cedric, wollte die Lage ausspionieren. Eine Nachbarin hat mir gestern erzählt, das sei vor vier, fünf Tagen gewesen.«
»Das wäre dann am Montag oder Dienstag gewesen, also ein bis zwei Tage vor Miras Tod. Woher wusste er da schon, dass Mira bei Lena abgestiegen war?«
»Entweder hat Mira ihn direkt angerufen, und er verschweigt das natürlich im Nachhinein. Oder er wusste es von Larissa. Wann hat die mit Mira telefoniert? Am Dienstagvormittag, oder?« Sie wühlte in ihren Unterlagen, gab aber bald auf. »Ich will auf jeden Fall wissen, ob er wirklich erst am Mittwoch in Nürnberg angekommen ist. Überprüf bitte alle Flüge, auch die von London nach München und nach Frankfurt. Und zwar von allen Londoner Flughäfen.«
Das Telefon läutete. Lilian hob ab und lauschte interessiert. Als sie auflegte, hatte sie immer noch diesen verklärten Blick. Als ob die Belange dieser schnöden Welt nicht die ihren wären. Nicht mehr.
»Herr Neumann ist wieder aufgetaucht«, sagte sie, als sei damit alles gesagt.
»Wer soll denn das schon wieder sein?«
»Lenas Nachbar, der im Bayerischen Wald verschollen war.«
Helmut erinnerte sich. Das war der ›alte Knacker‹ aus der Wohnung neben der von Lena, wie Lilian ihn erst gestern tituliert hatte. Die leerte ihre Tasse in einem Zug, stand auf und schnappte sich ihre ausgebeulte Umhängetasche.
»Ich fahr mal gleich bei ihm vorbei. Bist du nachher noch da, wenn ich wieder komme?«
Resigniert nickte er.
»Dieser Nachbar hat was gehört, am Abend von Miras Tod. Ich ruf dich nachher an.«
Weg war sie.
Er griff zum Telefon.
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