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Katzenhöhle

Katzenhöhle

Titel: Katzenhöhle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegunde Artmeier
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ihre Farben waren die gleichen wie die des Waldes, der sich an den Schlosspark anschloss: dunkles Braun und unauffälliges Anthrazit. Sie stand vor einem Baum. Nein, sie stand nicht davor, sie hielt ihn eng umschlungen, schmiegte sich an ihn mit ihrem ganzen Körper, als sei er ein lebendiges Wesen, als wollte sie mit ihm verschmelzen. Lilian kniff die Augen zu – die Frau da kannte sie. Das war ja Lena, Lena Zolnay! Kein Zweifel, diesen Mantel hatte sie getragen, als Lilian sie am Mittwochabend ins Hotel gefahren hatte. Was tat sie da bloß? Hielt sie Zwiegespräch mit einem Baum? Wie seltsam … Gerade wollte Lilian stehen bleiben und etwas zu ihr sagen. Doch dann lief sie einfach weiter.
    Als sie schon lange wieder auf dem Rückweg war, fragte sie sich immer noch, warum sie Lena nicht angesprochen hatte. Aber da wurde ihr klar, dass sie die Antwort bereits kannte. Heute schien ein Tag für Intuitionen zu sein. Lilian hatte gespürt, was für einen persönlichen, fast intimen Moment sie damit gestört hätte. Einen Moment, den Lena mit niemandem teilen wollte.

13
    Viktor hatte eine Explosion erwartet oder zumindest eisiges Schweigen – und nicht, dass Lilian seine Einladung überhaupt annehmen würde. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit ihrem strahlendem Gesicht und diesem nonchalantem Geplauder. Das Essen lobte sie in den höchsten Tönen. Er hatte das Irish Stew schon am Morgen vorbereitet, damit es richtig durchziehen konnte. Lilian liebte Lammfleisch. Trotzdem hatte er befürchtet, sie würde es ihm um die Ohren schlagen. Doch jetzt futterte sie es mit erstaunlichem Appetit, sprühte vor Lebenslust und lachte in einem fort. Er verstand die Welt nicht mehr. Nicht, dass er Hanna für überempfindlich gehalten hätte. Er glaubte ihr jedes Wort. Und er kannte Lilian gut genug, um genau zu wissen, dass sie eine solche Abmachung, wie Hanna und er sie getroffen hatten, für verwerflich halten musste. Und außerdem wusste er, dass Lilian ihn selbst als ihr persönliches Hab und Gut betrachtete. Wenn er so etwas Abstruses – Herr über Sein oder Nicht-Sein – also in Erwägung ziehen sollte, dann gefälligst nur mit ihrem Einverständnis.
    Natürlich hatte er sie nicht um Erlaubnis gefragt. Er war dreiundfünfzig Jahre alt, auf jeden Fall alt genug, um solche Entscheidungen selbst zu treffen. Und außerdem hätte sie sowieso Nein gesagt. Sie war egoistisch, ehrgeizig und oft genug eine Spur zu selbstgerecht. Aber sie war auch immer noch das verletzte Kind, als das er sie kennen gelernt hatte. Das brauchte bedingungslose Liebe und uneingeschränkten Rückhalt. All das musste sie jetzt davonschwimmen sehen. Doch das tat sie offenbar nicht. War sie auf einmal erwachsen geworden?
    Lilian nahm sich eine dritte Portion. »Warum isst du nichts, Viktor?«
    »Hm …«
    »Hast du keinen Hunger?«
    »Hm …«
    »Du bist so nachdenklich.«
    »Hm …«
    »Du hörst dich schon fast an wie ich.«
    Er musste lachen. »Und du hörst dich zur Abwechslung mal wie ich an.«
    »Wie es scheint, haben wir die Rollen getauscht.« Sie hob ihr Weinglas und prostete ihm zu. »Das verändert die Sichtweise ganz enorm.«
    »Und wie fühlst du dich mit dieser neuen Sichtweise?«
    »Überlegen.«
    Er fühlte sich unwohl. »Tatsächlich?«
    »Und du?«
    »Hm …«
    »So schlecht?« Sie trank. »Ich wollte dich was fragen.«
    Jetzt war es soweit. Würde sie ihm Vorwürfe machen, weil er Hanna zwar ein Kind machen, sie aber nicht heiraten wollte – auch wenn das Hannas Idee gewesen war? Ihn anstänkern, weil er sich in die endlose Reihe der männlichen Arschlöcher einfügte? Und das alles in seinem Alter, wo er doch wirklich klüger sein sollte? Er wappnete sich und trank ebenfalls einen großen Schluck.
    »Ich höre.«
    »Warum hast du nie mit mir geschlafen?«
    Er starrte sie an und trank das Glas in einem Zug leer.
    »Danke für deine wirklich erschöpfende Antwort.« Sie versuchte ein Lächeln. Es misslang kläglich. »Bin ich so hässlich, so abstoßend, so …?«
    »Du bist eine der schönsten Frauen für mich.«
    »Das erklärt natürlich alles.«
    »Außerdem bin ich dein bester Freund. Das war ich auch vor acht Jahren, Lilian. Und ich wollte es bleiben.«
    Er hatte nicht erwartet, dass sie ausgerechnet damit anfangen würde. Es war nur ein einziger Kuss gewesen, eine einzige wirkliche Umarmung, nicht mehr. Sie küssten sich oft und umarmten sich noch öfter. Aber nie so wie damals. Er erinnerte sich genau – wie sollte er diesen

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