Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katzenkrieg

Katzenkrieg

Titel: Katzenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Mendoza
Vom Netzwerk:
freute er sich seines Entschlusses und hatte das Gefühl, seine Sorgen in den düsteren Winkeln der Hotelhalle zurückgelassen zu haben. Schon beim Betreten der Plaza Santa Ana nahm er die atmosphärische Veränderung der letzten Stunden wahr. In diesem baum- und pflanzenlosen Teil Madrids machte sich der bevorstehende Frühling in der Luft und den Farben bemerkbar, als handle es sich um eine psychische Veränderung. Unter diesem leuchtenden, die Stadt und ihre Menschen beschützenden Himmel lief er keine Gefahr.
    Nachdem er einen Kaffee und ein Milchbrötchen gefrühstückt hatte, marschierte er, mitgerissen vom frühlingshaften Knospen, zum Prado-Museum, ohne es sich vorgenommen zu haben. Wenn er schon Madrid bald verlassen musste, wollte er sich wenigstens von seinen geliebten Bildern verabschieden. Als er die steile Treppe hinanstieg, befiel ihn ein niederschmetternder Gedanke: Vielleicht war das die letzte Gelegenheit, die Kunstwerke zu betrachten, in deren Gesellschaft er ekstatische Momente erlebt hatte. Wenn der in allen Bereichen der spanischen Gesellschaft schwelende Wahnsinn zu dem von allen prophezeiten bewaffneten Konflikt führte, wer garantierte dann dafür, dass die unzähligen übers ganze Land verteilten Kunstschätze dem Strudel nicht ebenfalls zum Opfer fielen?
    Geknickt von diesem Gedanken, streifte er durch die Museumssäle, ohne zu bemerken, dass ihm in einem gewissen Abstand ein Mann in Regenpelerine und Tiroler Hütchen folgte, der sich hinter einer Ecke oder einer Säule versteckte, wenn der Gegenstand seiner Verfolgung vor einem Bild stehenblieb. Diese Vorsichtsmaßnahme war zwar berechtigt, da sich zu dieser Zeit kein anderer Besucher im Museum befand, anderseits aber auch unnötig, denn Anthony nahm nicht einmal die Bilder wahr, auf die sein Blick fiel. Erst als er den ersten Velázquez sah, verscheuchte er seine grüblerischen Gedanken und konzentrierte sich ganz auf die Bilder. Diesmal fesselten ihn mit unwiderstehlicher Kraft zwei außerordentliche Persönlichkeiten.
    Diego de Acedo mit dem Spitznamen Der Cousin und Francisco Lezcano hätten in dieser Welt den Rang eines Hundes oder einen noch tieferen eingenommen, hätte Velázquez sie nicht triumphal in die Unsterblichkeit geführt. Es waren zwei Zwerge, die zur reichen Besetzungsliste der Narren am Hofe Philipps IV. gehörten. Ihre Porträts sind groß, einen Meter auf fünfundachtzig Zentimeter, genauso groß wie die der Infantinnen Margarita und María Teresa. Auch der Blick des Malers auf seine Modelle ist bei Infantinnen und Zwergen derselbe: menschlich, weder schmeichelnd noch mitleidig. Velázquez ist nicht Gott und fühlt sich nicht dazu berufen, eine Welt zu beurteilen, die er schon fertig und ohne Rettung vorgefunden hat; seine Aufgabe sieht er darin, sie wiederzugeben, wie sie ist.
    Ganz offensichtlich leidet Lezcano an Idiotie, Acedo wahrscheinlich ebenso. Obwohl sie keine Kirchenlichter sind – oder vielleicht, um gerade das zu betonen –, tun beide etwas, was ein Minimum an Intelligenz und Schulung erfordert, die sie eigentlich nicht haben: Der Cousin hält ein aufgeschlagenes Buch, fast so groß wie er selbst, und Lezcano ein Kartenspiel in den Händen, so, als wollte er gleich mischen und geben. Die aufgeschlagene Seite von Acedos Buch scheint beschrieben und sogar illustriert, aber es ist nur ein üblicher Velázquez-Trick – bei genauem Hinsehen erweisen sich Buchstaben und Zeichnung als uniformer Fleck. Dasselbe beim Kartenspiel. Die beiden Narren nehmen je und je den größten Teil der Leinwand ein, rechts auf den Bildern ist die Sierra de Guadarrama angedeutet. Die fernen Berge und das Fehlen anderer Bezugspunkte verweisen die Zwerge aufs Land und das Licht in eine späte Stunde – ein Ensemble der Verlassenheit. Die majestätischen Gipfel im Hintergrund und im Vordergrund das Paradigma von Kleinheit und Hilflosigkeit.
    Anthony ist von diesen beiden Figuren so fasziniert, dass er unbewusst die Lippen bewegt, als unterhalte er sich mit ihnen. In diesem Moment, hat er das Gefühl, sind Acedo und Lezcano die beiden einzigen Wesen, die seine Traurigkeit zu verstehen und zu teilen imstande sind, dass eine nahe Katastrophe alles auf ihrem Weg ins Elend zu reißen droht, angefangen beim Schönen und Erhabenen, und kein Erbarmen mit den Schwachen kennen wird. Das ist nicht mein Land, murmelt er, abwechselnd den einen und den anderen anschauend, und es wäre absurd, mein Schicksal mit dem von Menschen zu verknüpfen,

Weitere Kostenlose Bücher