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Katzenkrieg

Katzenkrieg

Titel: Katzenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Mendoza
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Señor Whitelands sei kurz zuvor ausgegangen, ohne zu sagen, wohin er gehe, hinterließ Guillermo del Valle eine Notiz, sobald er etwas wisse, werde er wieder vorbeikommen, obwohl es höchstwahrscheinlich an diesem Tag nicht mehr zu einer Begegnung komme, wie von Anthony gewünscht. Die Sitzungen des Nationalen Rats pflegten stundenlang zu dauern, und am Ende gingen die Teilnehmer zum Abendessen und dann in den Heiteren Wal bis tief in die Nacht hinein.
    Der Aufschub seiner Pläne verdross den Engländer. Er ging in sein Zimmer hinauf in der Hoffnung, dort die Toñina vorzufinden, und ihr Fehlen ärgerte ihn noch mehr. Unfähig, sich auf eine intellektuelle Aufgabe zu konzentrieren, und ohne zu wissen, was er jetzt mit seinen Stunden anfangen sollte, warf er sich aufs Bett und fiel bald in tiefen Schlaf.
    Es war schon dunkel, als er die Augen öffnete. Er ging in die Rezeption hinunter und fragte, ob jemand eine Nachricht für ihn hinterlassen habe. Etwa vor einer Stunde habe ein Herr angerufen und ihn gebeten, er solle Señor Whitelands ausrichten, er möge ihn Punkt acht an einem bestimmten Ort treffen. Der erwähnte Herr habe mit englischem Akzent gesprochen und einen vollkommen unverständlichen Namen genannt. Anthony vermutete, es handle sich um einen Botschaftsangehörigen. Als ihm der Empfangschef den Treffpunkt zeigte, den er diktiert bekommen hatte, erkannte er ihn nicht.
    «Ist die Calle de la Arganzuela weit von hier?», fragte er.
    «Schon ein wenig», antwortete der Empfangschef. «Sie nehmen besser ein Taxi bis zur Puerta de Toledo. Dort in der Nähe ist die Calle de la Arganzuela.»

37
    Ihr unabhängiges Urteil, die Fähigkeit, beherzt eine Entscheidung zu treffen und vorbehaltlos dazu zu stehen – das waren seit der Wiege ihre vorherrschenden Charaktereigenschaften gewesen, die ihr die Bewunderung ihrer Bekannten eingetragen hatten und manchmal das Misstrauen derer, die sonst mit ihr zu tun hatten. Wäre sie in eine weniger beengende Familie hineingeboren worden, so hätte sie zweifellos den Einfluss der freidenkerischen Institución Libre de Enseñanza zu spüren bekommen, hätte sich die Grundsätze der aufkommenden spanischen Frauenbewegung zu eigen gemacht und wie so viele Frauen ihrer Zeit dem Lyceum-Club angehört. Da ihr diese Wege persönlicher Entfaltung verschlossen blieben, hatte sie den ungeheuren Reichtum ihrer persönlichen Gaben in den Dienst der Ihren gestellt. Dass das eine sinnlose Verschwendung war, entging ihrer Intelligenz nicht: Oft fühlte sie sich beleidigt, und mehrmals hatte sie sich auf ungeheure Abenteuer eingelassen, um sich von einem Druck zu befreien, der ihr geistiges Gleichgewicht bedrohte. Sie war die älteste von vier Geschwistern, aber als Frau waren ihr die Vorrechte der Erstgeborenen verschlossen. In der Praxis übte sie zwar solche Tätigkeiten aus, denn ihr Vater war sich ihrer Verdienste bewusst und stützte sich mehr auf sie als auf seine Söhne, doch diese stillschweigende Anerkennung durch einen Mann, der zutiefst im uralten spanischen Patriarchat verwurzelt war, wurde von allen als Schwäche betrachtet, was diese Anerkennung sogleich wieder außer Kraft setzte und die Türen verschloss, die sie eigentlich öffnen sollte.
    Das war die Frau, die an einem Märzmittag des Jahres 1936 mit ihrer Erregung durch die Gartenwege eines im Paseo de la Castellana gelegenen Palais spazierte und vergeblich einen würdigen Ausweg aus ihrem Dilemma suchte. Jetzt, als sie sie am meisten brauchte, hatten sie die genannten Eigenschaften im Stich gelassen. Sie war so verwirrt, dass sie nicht hörte, wie sich ihr mit leichten Schritten jemand näherte, und zusammenzuckte, als sie von einer heiteren, zärtlichen Stimme angesprochen wurde. «Was hast du denn, Paquita? Seit einer Weile schaue ich dir vom Balkon aus zu – du wirkst unglaublich nervös.»
    Als sie sah, wer sie da ansprach, empfand Paquita große Erleichterung. Obwohl der Altersunterschied in Zeiten rascher, prägender Veränderungen das Aufkommen einer echten Freundschaft zwischen ihnen verhindert hatte, fügte sich jetzt zum Strom der normalen schwesterlichen Zärtlichkeit noch eine Affinität, die ebenso den Ähnlichkeiten wie den Unterschieden ihrer Persönlichkeit entsprang. Wie Paquita besaß auch Lilí Intelligenz, Lebhaftigkeit und Geist, aber ihr Temperament war nachdenklicher, passiver und weniger romantisch. Paquita betete Lilí an, einerseits weil sie sich in vielen Belangen gespiegelt sah, anderseits

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