Katzenkrieg
drehte sich ihm. Die Whiskyflasche war leer. Er nahm José Antonios wässrig-amüsierten Blick wahr. Nach einer Weile rief der junge Anwalt: «Mein lieber Anthony, du bist vollkommen wahnsinnig! Und du sagst, all das hast du dem Leiter der Obersten Polizeidirektion erzählt?»
«Und ob, und Azaña höchstpersönlich!»
José Antonio konnte sich nicht mehr beherrschen und brach in donnerndes Gelächter aus. Anthony tat es ihm gleich. Die beiden lachten und klopften sich gegenseitig auf die Schultern und schlugen auf den Tisch, warfen die Flasche und die Gläser um, unfähig, dem Lachanfall Einhalt zu gebieten. Wieder strömte die Freundschaft, die sie über alle Rivalität hinweg verband.
Mit ernstem Gesicht trat der Kellner zu ihnen. «Verzeihen Sie die Störung. Ein dringender Anruf für Señor Primo de Rivera.»
40
Lilí ließ eine angemessene Zeit verstreichen, rief dann in der Klinik an, um sich nach dem Zustand ihres Bruders zu erkundigen, und wurde nach mehreren Versuchen mit Pater Rodrigo verbunden. Der junge Mann lebe noch, aber die Ärzte hätten ihn aufgegeben, und jeden Moment könne der Tod eintreten. Der Herzog entferne sich keinen Schritt vom Bett seines Sohnes, und Paquita, überfordert vom beklemmenden Warten, gehe laut jammernd ein und aus. Niedergeschmettert von diesen Nachrichten, wurde Lilí zusätzlich vom mysteriösen Verschwinden ihrer Mutter gequält. Kurz zuvor hatte sie den Butler auf die Suche nach ihr geschickt, und der war mit der Flinte unter den Mantelschößen losgezogen.
Nach einer Stunde kam er ergebnislos zurück. Die Nacht war unfreundlich, und auf dem Paseo de la Castellana und in den angrenzenden Straßen hatte er keinen einzigen Fußgänger angetroffen, der der Vermissten hätte begegnet sein können. Die Polizei mochte Lilí nicht benachrichtigen; im Moment konnte man nur warten und auf den Schutz der Vorsehung bauen. Sie sagte, man solle es ihr melden, sobald es etwas Neues gebe, und schloss sich in ihrem Zimmer ein; sie konnte nicht weiter die Gelassene spielen. Doch anstatt ihr den ersehnten Frieden zu bescheren, verstärkten die vertrauten Räume ihren Kummer noch – hier erinnerte sie alles an die erst kurz zurückliegende Begegnung mit dem Engländer. Vielleicht war er in diesem Moment ebenfalls tot. In ihrer überbordenden Jungmädchenphantasie sah sie ihn leblos auf dem Boden liegen, niedergestreckt von den Kugeln eines Killers oder vom Dolch eines Schlächters. Vielleicht hatte sein letzter Gedanke ihr gegolten.
Bei ihren besten Freunden galt Lilí als ausgeglichen, optimistisch, humorvoll, ein wenig unreif und naiv. In Wirklichkeit war sie genau das Gegenteil. Ihre Verfassung spitzte sich noch zu, da sie sich mit ihrem kühl-analytischen Hirn und dem glühenden rebellischen Herzen insgeheim ihrer religiösen Erziehung verweigert hatte. Nach so vielen intensiven Erlebnissen ohne den Trost des Gebets und das Vertrauen in die göttliche Hilfe am Ende ihrer Widerstandskraft angekommen, glaubte sie jetzt wahnsinnig zu werden.
Um zehn nach elf wurde an ihre Tür geklopft. Sie hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, um des Boten verheerende Nachrichten nicht hören zu müssen. Aber sogleich fand sie die Selbstbeherrschung wieder und machte auf. Das Dienstmädchen sagte, ihr Vater sei am Telefon. Fast unhörbar und mit vor Erregung stockender Stimme erzählte der Herzog, vor zehn Minuten sei die Herzogin ins Krankenhaus gekommen, habe Pater Rodrigo, der sich zwischen sie und das Bett ihres Sohnes gestellt habe, beiseitegeschoben und sich auf den Jungen gestürzt, ihn bei seinem Namen genannt und mit Küssen bedeckt. Und da habe sich das Wunder ereignet. Guillermo del Valle habe die Augen geöffnet und gelächelt, als er das Gesicht seiner Mutter erkannt habe. Die Ärzte, ratlos gegenüber dieser medizinisch unerklärlichen Reaktion, hätten Paquita behandeln müssen, die in Ohnmacht gefallen sei. Bei dieser Szene unsäglichen Glücks fehle nur noch Lilí.
«Komm schnell, mein Kind», rief der Herzog. «Komm, um mit uns Gott zu danken. Julián soll dich begleiten. Heute Abend ist es gefährlich in den Straßen. Offenbar ist es wieder zu Schießereien und Brandstiftungen gekommen.»
Kaum hatte sie aufgehängt, als das Telefon erneut klingelte. Da sie noch daneben stand, nahm Lilí ab. Eine unbekannte Männerstimme fragte nach Señorita Paquita. «Sie ist nicht da. Mit wem spreche ich?»
«Mit einem Freund», sagte die Stimme. «Sagen Sie ihr nur, der Engländer
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