Katzenkrieg
Faktoren gibt und dass sie ebenfalls in Erwägung gezogen werden müssen. Aber ein Kunstwerk ist in allererster Linie der Ausdruck von etwas zugleich Erhabenem und zutiefst in unserem Glauben und unseren Gefühlen Verwurzeltem. Mir ist die Barbarei eines Inquisitors, der bereit ist, ein Bild zu verbrennen, weil er es für sündhaft hält, lieber als die Gleichgültigkeit von jemandem, dem es nur um die Datierung, die Geschichte oder den materiellen Wert dieses Bildes geht. Für uns sind ein Maler, ein Kunde und ein Modell des 17. Jahrhunderts nichts weiter als Lexikonangaben. Aber zu ihrer Zeit waren sie Menschen wie Sie und ich und gossen ihr Leben aus tiefen Gründen und Gefühlen heraus in ein Bild, manchmal unter großen Risiken und ein Vermögen ausgebend. Und sie dachten nie, all das könnte im Saal eines Museums oder in der Ecke eines Lagerraums enden.»
«Na», sagte sie, «da muss ich Sie einmal mehr um Verzeihung bitten. Offensichtlich ist meine Beziehung zu Ihnen eine Abfolge von Beleidigungen und Entschuldigungen.»
«Das wird sie nicht mehr sein, sobald Sie aufhören, mich ins Bockshorn zu jagen, wenn diese idiomatische Wendung korrekt ist. Aber nicht Sie, ich muss mich entschuldigen. Ich gerate immer in Verzückung, wenn ich über dieses Thema spreche.»
«Das ist gut so, das macht Sie ein wenig attraktiver. Fahren Sie fort mit Ihrer Hypothese.»
«Man streitet sich darüber, wann Velázquez die Venus vor dem Spiegel gemalt hat. Alles weist darauf hin, dass es gegen Ende der vierziger Jahre war, denn 1648 fuhr Velázquez nach Italien, und er kehrte erst 1651 zurück, als sich das Bild bereits in Don Gaspars Palast befand. Es könnte in Italien gemalt worden sein, wo es von Aktbildern wimmelt, die Velázquez inspiriert haben könnten, aber ich glaube es nicht. In Madrid gab es unzählige Akte von großen Meistern wie Tizian oder Rubens, selbst in den königlichen Sammlungen, und auch wenn sie nicht fürs Publikum ausgestellt waren, war Velázquez als Konservator des künstlerischen Erbes der Krone mit ihnen vertraut. Ich bin überzeugt, dass die Venus in Madrid gemalt wurde, vor der Italienreise, wahrscheinlich Anfang 1648, und in strengster Abgeschiedenheit.»
Als hätte dieser Satz eine Feder in Bewegung gesetzt, stand abrupt der Artillerieoffizier auf. Der Kellner eilte herbei, um ihm in den Mantel zu helfen, der an einem Kleiderbügel hing. Der Offizier gab ihm eine Münze und wandte sich zur Tür. Als er an ihrem Tisch vorbeiging, schaute er den Engländer verstohlen, dann Paquita, die die Augen gesenkt hatte, aufmerksamer an. Ohne stehenzubleiben, deutete er eine Verneigung an und trat auf die Straße hinaus. Anthony glaubte, bei seiner Begleiterin ein gewisses Unbehagen wahrzunehmen, hielt es aber für unklug, eine Frage zu stellen.
«Im November 1648», fuhr er fort, «reist Velázquez im Auftrag Philipps IV. zum zweiten Mal nach Italien, um zur Erweiterung der königlichen Sammlung Kunstwerke zu erwerben. Doch diesmal dauert die Reise länger als vorgesehen, zwei Jahre und acht Monate. Der König wird ungeduldig und beordert seinen Lieblingsmaler zurück, aber der spielt den Drückeberger. Während dieses langen Italienaufenthalts malt er wenig: In Rom porträtiert er Papst Innozenz X. und hochrangige Persönlichkeiten der Kurie, und während der Erholung von einer Fieberkrankheit malt er zur Zerstreuung zwei winzige melancholische Landschaften der Villa Medici. In der übrigen Zeit reist er in Italien umher, trifft sich mit Künstlern, Sammlern, Diplomaten und Mäzenen, kauft Bilder und Skulpturen ein und sorgt dafür, dass sie auch an ihrem Ziel ankommen. Seine Frau und die beiden Töchter sind in Madrid geblieben. Als er schließlich nach Spanien zurückkehrt, ist er ein müder Mann, dem der Atem ausgegangen ist. In den zehn Jahren bis zu seinem Tod am 6. August 1660 malt er nur Porträts der Königsfamilie, darunter Las Meninas .»
«Na ja, das ist ja nicht schlecht», sagte Paquita, die die Episode mit dem Artillerieoffizier vergessen zu haben schien.
«Ja, natürlich, es ist ein außerordentliches Bild, und es zeigt, dass Velázquez im Vollbesitz seiner Fähigkeiten und Kreativität war. Aber wenn dem so ist, warum dann die ganze Inaktivität?»
«Glauben Sie, dass ihm die Venus Unglück brachte?»
«Ich glaube, dass er nach dem Malen dieses Bildes oder währenddessen eine gewaltige persönliche Krise durchgemacht hat, von der er sich nie wieder ganz erholte, und dass der
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