Katzenkrieg
wieder Strom haben – wenn wir hier nicht rausgehen, kriegen wir eine Lungenentzündung. Bewegen Sie sich nicht, Sie könnten sich irgendwo stoßen. Geben Sie mir die Hand, und wir versuchen, zur Gartentür zu kommen. Ich kenne den Keller besser als Sie.»
Der Engländer ergriff ihre Hand; sie war eiskalt, und er drückte sie kräftig. «Macht Ihnen die Dunkelheit keine Angst?», fragte er.
«So wie allen», sagte sie mit fester Stimme. «In Begleitung weniger.»
Die Füße nachziehend, gingen sie ganz langsam vorwärts. In der Dunkelheit war die Kälte noch intensiver, und die Zeit schien stillzustehen.
«Wenn man sich durch die Dunkelheit tastet, ist alles weiter weg», sagte Paquita.
«Vorsichtig, verirren Sie sich nicht, sonst landen wir noch in einem Schrank.»
«Da hinein sollte man Sie stecken, weil Sie so einfältig sind.»
Bald fanden sie die Tür, durch die man vom Keller in den Garten gelangte. Paquita ließ die Hand des Engländers los, hantierte eine Weile mit den Schlüsseln und schloss dann auf. An die Dunkelheit gewohnt, waren sie vom plötzlichen Sonnenlicht geblendet. Paquita hüllte sich in den Schal, streckte den Kopf hinaus und vergewisserte sich, dass niemand in Sicht war. Anthony erinnerte sich daran, wie sie ihn hier zwei Tage zuvor umarmt hatte. Impulsiv schloss er sie in die Arme. Sie wehrte sich nicht, wandte aber das Gesicht ab und sagte: «Das darf nicht zur Gewohnheit werden.»
Sie trennten sich und durchquerten verstohlen den Garten. Vor der Eisentür sagte Paquita: «Gleich dahinter, in der Calle Serrano, gibt es eine Cafeteria namens Michigan. Warten Sie dort auf mich. Ich bin sogleich bei Ihnen.»
20
«Bis zum 20. Jahrhundert», referierte Anthony, ohne eine Pause zu machen, als wollte er zeigen, dass er seine Lektion beherrschte, «gibt es in der spanischen Malerei das Genre des Aktbildes nicht. Die nackte Maja von Goya ist eine Ausnahme, und eine andere, frühere und noch bemerkenswertere ist die Venus von Velázquez. Der Grund für dieses Fehlen ist offensichtlich: In Spanien wurden die Aufträge von der Kirche erteilt und, in geringerem Ausmaß, vom Königshaus, also Heiligenbilder, Porträts und ab und zu ein Genrebild. In Italien oder Holland liegen die Dinge anders. Dort haben der Adel und die Reichen Bilder in Auftrag gegeben, um ihre Salons zu schmücken, und da sie eine weniger strenge Moral hatten, liebten sie mythologische Sujets mit vielen weiblichen Akten. Zwar kannten die spanischen Maler der Epoche die Technik der Aktmalerei, wandten sie im Zeitalter der Gegenreformation aber nur auf den männlichen Körper an – Folterszenen und unzählige Kreuzigungen und Kreuzabnahmen. In dieser Hinsicht wie in so vielen anderen nahm Velázquez eine privilegierte Stellung ein: Als Angehöriger des Hofes erhielt er private Aufträge und konnte seine Kunst in sämtlichen Genres ausüben, auch im mythologischen: Der Triumph des Bacchus , Die Schmiede Vulkans und einige weitere, darunter Venus mit dem Spiegel , das heute in der National Gallery in London hängt und das erste und lange Zeit einzige Aktbild der spanischen Malerei ist.»
In der Cafeteria Michigan befanden sich nur wenige Gäste: an der Theke niemand und bloß ein halbes Dutzend Tische besetzt. Die Nachzügler hatten fertig gefrühstückt, und noch war die Stunde des lärmigen Aperitifs nicht gekommen. Zwei einsame Gäste lasen in Ruhe ABC und El Sol ; ein Dritter schrieb mit einem Lächeln auf den Lippen; ein Artillerieoffizier rauchte, gedankenverloren an die Decke blickend. Am Fenster sprachen zwei Frauen mittleren Alters simultan und pausenlos; auf ihrem Tisch lagen neben zwei Tassen Milchkaffee und der Alpakazuckerdose die Messbücher und die säuberlich gefalteten schwarzen Mantillen. Anthony bewunderte die Vielfältigkeit der Lokale, die Madrid seinen Bürgern offerierte. Nicht einmal die berühmten Wiener Cafés, wo er zwischen seinen Besuchen des Kunsthistorischen Museums so viele Stunden verbracht hatte, waren denen Madrids vergleichbar. Sie wirkten auf ihn unangenehm theatralisch und dekadent, in Madrid dagegen hatten diese mit Leben erfüllten Lokale nichts Anachronistisches. Im Gegensatz zu denen in Wien waren ihre Wände nicht mit Spiegeln behangen – die Madrilenen benötigten sie nicht, da sich die Gäste direkt und mit offener Neugier anschauten. Aber in dieser Unverfrorenheit lag nichts Ungutes, denn in den Madrider Cafés vergisst man ebenso leicht, wie man schaut. Alles gehörte zum
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