Katzenkrieg
Zwar blieb die Zukunft ihrer Beziehung im Ungewissen, aber wenigstens verliefe sie in normalen Bahnen. Die Chance, die sie ihm an diesem Abend gab, belegte ihren Stimmungswandel: Sie war ein Vertrauensbeweis und vielleicht eine Aufforderung, die Beziehung zu verlagern, eine Ermächtigung, ohne Umschweife mit einem Rivalen zu wetteifern, dessen Überlegenheit nicht anzuerkennen naiv gewesen wäre, den man aber mit Geschick und Geduld auch aus dem Feld schlagen konnte. Doch im Grunde war das für Anthony alles zweitrangig im Vergleich zu dem, was mit dem Velázquez im Gange war. Das erregte ihn dermaßen, dass ihn nur sein zurückhaltender Charakter und die strenge Erziehung daran hinderten, sich mitten auf der Straße noch mehr wie ein Geistesgestörter zu gebärden: Er machte weit ausholende Schritte, ruderte mit den Armen und rief, ohne sich dessen bewusst zu sein, Sätze oder einzelne Worte, die die Passanten auf ihn aufmerksam machten. Er hatte es eilig, ins Hotel zu kommen, wo er seine durcheinanderwirbelnden Gedanken aufschreiben wollte, teils, um ihnen Ordnung und Form zu geben, teils, um seine überbordende Seele zu beruhigen. Wegen dieses Vorhabens überhörte er trotz des stechenden Hungers die Sirenengesänge der Restaurants, an den er vorüberhastete.
Als ihm noch knapp hundert Meter bis zu seinem Ziel fehlten, hörte er hinter sich seinen Namen rufen, wandte sich um und sah sich Higinio Zamora Zamorano gegenüber.
«Wie!», rief er. «Schon wieder Sie! Sind das nicht etwas viele Zufälle?»
Higinio Zamora lachte und sagte: «Da haben Sie recht. Es wäre sehr zufällig, wenn es zufällig wäre. Aber es ist kein Zufall, denn ich komme von Ihrem Hotel, wo ich Sie vor einem Moment aufsuchen wollte und wo mir der Herr an der Rezeption gesagt hat, Sie seien nicht da.»
«Ich verstehe. Und warum wollten Sie zu mir, wenn man fragen darf?»
«Man darf, man darf. Vor allem, da es meine Wenigkeit war, die Sie aufgesucht hat. Aber das ist nichts, was sich im Stehen und in einer Minute besprechen lässt, sondern nur bei einem schönen Eintopf und einer Flasche Valdepeñas.»
«Tut mir leid», sagte Anthony, «heute darf ich mir kein Mittagessen erlauben.»
«Oh, ich habe mich ungenau ausgedrückt – ich lade Sie ein.»
«Es ist nicht das. Ich habe zu arbeiten und muss umgehend ins Hotel zurück.»
Higinio Zamora lachte mit den Augen, aber nicht mit dem Gesicht. «Wenn Sie wirklich arbeiten müssen, dann gehen Sie nicht ins Hotel. Im Eingang steht so ein Typ, der ziemlich nach Polizist riecht, und als ich nach Ihnen fragte, hat er mich von Kopf bis Fuß gemustert. Woraus ich den Schluss ziehe, dass man Sie erwartet. Kann das sein?»
«Das kann sein.»
«Also, machen Sie ihm die Freude nicht, und wir gehen den Eintopf essen. Ich sehe ja, wie Ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn ich’s nur schon sage. Und Sie brauchen keine Indiskretion zu befürchten – ich werde Sie nicht fragen, warum man Sie überwacht.»
Anthony verlor keine weitere Zeit mit Überlegungen. Wenn der Wartende im Hotel Hauptmann Coscolluela oder sonst ein Abgesandter von Oberstleutnant Marranón war, dann ließ er sich besser nicht blicken, er hatte zu vieles zu verstecken. Und wenn man ihn wieder in die Oberste Polizeidirektion brachte, konnte er sein Stelldichein mit Paquita und den Besuch der Versammlung von José Antonio Primo de Rivera gleich vergessen.
«Also gut, gehen wir, aber nur unter der Voraussetzung, dass wir halbe-halbe machen.»
«Das ist zwar in Spanien nicht üblich, aber es wird angenommen.»
Sie entfernten sich vom Hotel, und nach einer Weile trat Higinio Zamora mit dem Engländer im Schlepptau in ein Speiselokal. Trotz der vielen Gäste herrschte eine klösterliche, nur vom Besteckgeklapper unterbrochene Stille. Auf Anweisung des Kellners gingen sie in den Zwischenstock hinauf und setzten sich an einen freien Tisch. Der war bald von Platten mit Kohl, Kichererbsen, Speck, Paprikawurst, Kartoffeln und Blutwürsten bedeckt. Eine dicke Frau in schmuddeliger Schürze servierte ihnen in irdenen Näpfen die Suppe, und ein junger Bursche brachte den Wein. Higinio Zamora bediente sich mit allem und begann ohne weitere Worte zuzulangen. Als Anthony sah, dass sich der andere nicht mehr um ihn kümmerte, tat er es ihm gleich. Das Essen war schmackhaft, und der Wein, obwohl nichts Besonderes, passte gut dazu, so dass die beiden mit dem Essen rote Wangen und zufrieden glänzende Augen bekamen. Nun legte Higinio Zamora
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