Katzenkrieg
dessen Bedeutung. Nichts wird Sie von Ihrem Weg abbringen, und ich werfe es Ihnen nicht vor. Es erniedrigt mich nicht, von einer Frau aus dem Feld geschlagen worden zu sein, die vor dreihundert Jahren gestorben ist und von der wir nur das Gesicht und einen guten Teil des Körpers kennen, aber seltsam kommt es mir schon vor, das müssen Sie verstehen.»
«Es fällt mir nicht leicht, Sie zu verstehen, wenn Sie mir den Grund für Ihr Verhalten nicht erklären», sagte der Engländer.
«Geben Sie mir Ihr Taschentuch.»
Anthony reichte es ihr, sie wischte sich rasch einige unsichtbare Tränen ab und gab es ihm zurück. «Vor einer Weile», sagte er, als er sah, dass sie dem Gesagten nichts beifügen wollte, «haben Sie mir selbst gesagt, ich solle Ihnen meine Sorgen erzählen. Das will ich kurz tun. Seit einigen Jahren scheint mein Leben stillzustehen. Ich bin an einem toten Punkt angekommen, beruflich wie persönlich, und es sieht nicht so aus, als würde sich das ändern. Ich habe zu viele ähnliche Fälle gesehen, um mir Illusionen zu machen – brillante Studien, große Perspektiven, einige glanzvolle Jahre und dann nichts: Flaute, Wiederholung und Mittelmäßigkeit. Ich wiederhole das Schema: Die Jugend habe ich hinter mir gelassen, und ich selbst gehe zurück, wie ein Krebs. Und auf einmal, ganz unerwartet, bietet sich mir eine in meinem Leben und in der Welt der Kunst überhaupt einmalige Chance. Das Abenteuer bringt Risiken mit sich, grenzt an Illegalität, und zudem spielen gewaltige emotionale Faktoren in den Prozess hinein. Aber wenn es trotz allem gelänge, wenn diese Geschichte ein einziges verdammtes Mal gut herauskäme, würde ich etwas mehr erreichen als nur die Befriedigung meiner lächerlichen akademischen Eitelkeit. Ich erhielte Prestige. Und Geld, ja, Geld, um meine Unabhängigkeit und Würde zu kaufen. Endlich könnte ich aufhören zu betteln … Wissen Sie, was das heißt, Señorita Paquita?»
«Das wissen alle Frauen, Señor Whitelands», sagte sie. «Aber haben Sie keine Angst, ich werde Sie nicht bedrängen, dazu bin ich zu stolz. Natürlich verstehe ich Ihre Gründe, so wie Sie meine verstehen würden, wenn ich sie Ihnen darlegte. Aber ich kann nicht. Noch nicht. Ich helfe Ihnen jedoch auf die Sprünge. Den Rest werden Sie sagen müssen, und dann sehen wir ja, ob Sie mit demselben Scharfsinn in die Gegenwart eindringen wie in die geheimen Winkel des 17. Jahrhunderts.»
Während des Gesprächs hatten die bisherigen Gäste die Cafeteria verlassen, und eine neue, lärmende Kundschaft begann das Lokal zu füllen. Anthony winkte den Kellner herbei, bezahlte, und sie gingen. Der Wind hatte sich gelegt, und die hoch an einem wolkenlosen Himmel stehende Sonne strahlte laue Vorfrühlingswärme aus. In den Ästen der Bäume zeigten sich erste Knospen. Wortlos gingen sie zur Gartenpforte des Palais, wo sie stehenblieben und Paquita die Schlüssel suchte.
«Vorher», sagte sie, als die Tür schon halb offen war, «habe ich Ihnen gesagt, ich würde Sie um einen Gefallen bitten. Das haben Sie bestimmt nicht vergessen.»
«Nein. Sprechen Sie.»
«Heute Abend um sieben hält José Antonio Primo de Rivera im Kino Europa eine Versammlung ab. Ich will hingehen und möchte, dass Sie mich begleiten. Holen Sie mich um sechs an der Ecke Serrano und Hermosilla ab. Dort werden wir ein Taxi nehmen. Kann ich mit Ihnen rechnen?»
«Es wird mir ein Vergnügen sein.»
«Das werden wir dann sehen. Aber ich bin sicher, dass die Erfahrung lehrreich für Sie sein wird. Um sechs. Pünktlich wie ein Engländer.»
21
Alles Leid, mit dem die Widrigkeiten der Geschichte, die hausgemachte Misswirtschaft und die Zwiste der Menschen das Spanien von 1936 überhäuft hatten, blieb zur Stunde des Aperitifs einvernehmlich vergessen. Die eleganten Cafés des Salamanca-Viertels quollen von piekfeinen Gästen ebenso über wie die Schmuddellokale in Lavapiés von Schnöseln und Großmäulern, als Anthony Whitelands, tief in seine Gedanken versunken, ins Hotel zurückging. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft war er mit dem Lauf der Dinge zufrieden. Das Gespräch mit Paquita im Michigan war günstig für ihn verlaufen, wie er fand: Sie hatte ihr unfreundliches Verhalten ebenso abgelegt wie die Unnahbarkeit der vorangegangenen Begegnungen, und ihm war es gelungen, seine Sicht der Dinge ohne Dünkel und Scheu darzulegen, also ohne einen Ausrutscher, den er jetzt zu bereuen gehabt hätte, und ohne sich wie üblich lächerlich zu machen.
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