Katzenkrieg
distinguierte Frauen und Männer, sie mit einer für die Engländer ungewöhnlichen Herzlichkeit. Einige blieben sogar stehen, klopften ihm auf die Schulter oder stießen ihm verschwörerisch den Ellbogen in die Rippen. In diesen Vertraulichkeiten sah Anthony den Wunsch, ihre Zuneigung und Billigung öffentlich zu bekunden: Die gute Londoner Society pries seine regelwidrigen Liebesverhältnisse und gab vorbehaltlos ihr Placet. Als er erwachte, verstärkte die Erinnerung an diesen angenehmen imaginären Spaziergang sein Elend noch – eine perverse Phantasterei hatte ihm etwas als wirklich vorgegaukelt, was nie wirklich sein konnte.
Mit dem Hellerwerden füllten sich die Untergeschosse der Obersten Polizeidirektion allmählich mit Stimmen, Schritten und den Geräuschen von sich öffnenden und schließenden Türen. Seiner aber nahm sich niemand an, als hätten die für seine Verwahrung Verantwortlichen vergessen, dass es ihn gab. Das bedrückte ihn mehr als jede Bedrohung. Hunger und Durst waren unerträglich geworden. Als ihn um zehn Uhr die Kräfte endgültig verließen, beschloss er, klein beizugeben. Die massive Holztür seiner Zelle hatte im oberen Teil eine quadratische Öffnung mit einem soliden Doppelgitter. Anthony trat zu dieser Öffnung und versuchte, mit seinem Rufen einen Wärter auf sich aufmerksam zu machen. Da niemand reagierte, gab er es auf, fing aber nach einer Weile abermals an. Beim dritten Mal fragte jemand barsch, wo es denn brenne.
«Bitte benachrichtigen Sie Oberstleutnant Marranón oder Hauptmann Coscolluela, und sagen Sie ihnen, der englische Gentleman, den sie gestern festgenommen hätten, sei bereit auszusagen. Sie werden es schon verstehen. Um Gottes willen, machen Sie schon.»
«Gut. Warten Sie hier», sagte der Wärter, als hätte der Verhaftete eine andere Möglichkeit.
Es verging über eine Stunde, und Anthony fiel in immer schwärzere Verzweiflung. Was Paquita oder sonst jemand denken mochte, war ihm mittlerweile egal, eine Deportation und jede denkbare Erniedrigung erschienen ihm willkommener als die Ungewissheit. Schließlich hörte man die Schlüssel im Schloss, die Tür ging auf, und auf der Schwelle zeichnete sich die imponierende Silhouette eines Bereitschaftspolizisten mit umgehängtem Karabiner ab.
«Kommen Sie.»
Mühsam hinter dem Polizisten hergehend, legte Anthony wieder den komplizierten Weg vom Vorabend zurück. Vor einer Bürotür blieben Polizist und Häftling stehen, der Polizist öffnete die Tür und trat zur Seite. Dem Engländer schwirrte der Kopf nach den erlittenen Qualen und weil er sich der Gemeinheit schämte, die zu begehen er im Begriff war. Er trat ein und wagte nicht, vom Boden aufzuschauen, bis ihn eine bekannte Stimme aus dieser verschreckten Haltung riss. «Um Himmels willen, Whitelands! Darf man erfahren, in was für ein Schlamassel Sie sich hineingeritten haben?»
«Parker! Harry Parker!», rief Anthony. «Gott sei gelobt! Wie haben Sie mich gefunden?»
«Ganz problemlos», antwortete der junge Diplomat. «Heute Morgen habe ich Sie im Hotel aufsuchen wollen, und der Empfangschef sagte mir, Sie seien hierhergebracht worden. Beim Henker, Whitelands, ich habe mir einen regelrechten internationalen Zwischenfall aus den Fingern saugen müssen, um Sie hier rauszukriegen. Was haben Sie denn diesmal angestellt? Sie sind zum öffentlichen Feind Nummer eins geworden.»
«Das ist eine lange Geschichte.»
«Dann erzählen Sie sie mir nicht. Wir müssen uns beeilen. Man erwartet uns.»
«Mich? Wer? Wo?»
«Wo wohl? In der Stierkampfarena? In der Botschaft, Mensch, in der Botschaft. Wir nehmen ein Taxi.»
«Aber so kann ich nicht in die Botschaft, Parker. Schauen Sie doch, wie ich aussehe – ich habe die Nacht im Gefängnis verbracht und strotze vor Flöhen.»
«Dafür sind Sie nüchtern, das ist auch etwas. Als wir uns letztes Mal sahen, hatten Sie gewaltig einen sitzen. Los, kommen Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren», schnitt er die Proteste des anderen ab. «Entweder kommen Sie so, wie Sie sind, mit mir in die Botschaft, oder ich lasse Sie hier. Da gibt’s einen gewissen Hauptmann Kokospaella, der Sie nicht riechen kann. Ein seriöser Mensch. Hinkt. Militärische Haltung. Sie haben die Wahl.»
«Okay», sagte Anthony, der bei der bloßen Erwähnung Hauptmann Coscolluelas zu zittern begann. «Aber unter der Bedingung, dass wir bei einem Lokal anhalten – ich muss Wasser trinken und etwas essen.»
Sie standen bereits auf der Straße, wo der
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