Katzenkrieg
diese Zeit ist bestimmt niemand mehr da, um Fotos von Ihnen zu machen.»
«Wie bitte? Sie wollen mich einsperren?», ruft Anthony. «Aber ich habe noch nicht einmal zu Abend gegessen!»
«Wir auch nicht, Señor Vitelas», antwortet der Oberstleutnant.
24
Beim Erwachen erkannte er in der Fensterscharte seiner Gefängniszelle eine schwache Helligkeit und schätzte die Zeit auf sechs Uhr. Da er in der Nacht das Zifferblatt seiner Uhr nicht hatte ablesen können, hatte er keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Wahrscheinlich sehr wenig. Nachdem er in seine Zelle gebracht worden war und das unheimliche Hallen der Türen vernommen hatte, die sich hinter Hauptmann Coscolluela schlossen, hatte Anthony Whitelands eine Phase der Verwirrung, dann eine der Panik und schließlich eine lange des Nachdenkens durchgemacht. Seine Situation war alles andere als verlockend: Das Gesetz stand auf der Seite derer, die ihn festgenommen hatten, und seine mangelnde Kooperation trug auch nicht unbedingt dazu bei, dass sie auf einen gesetzlichen Vorteil verzichteten. So gesehen präsentierte sich die unmittelbare Zukunft schwarz. Aber noch mehr quälte ihn der Zweifel, ob er sich richtig verhalten hatte, sowohl praktisch als auch ethisch.
Nachdem er das Für und Wider seiner Entscheidung, offen zu lügen, lange abgewogen hatte, kam er zum Schluss, dass er richtig oder zumindest nicht falsch gehandelt hatte. Zunächst einmal betraf ihn die Angelegenheit, in die er verwickelt war, persönlich nur indirekt – er hatte keinen Grund, sich in dem komplexen Tauziehen in Spanien auf die eine oder andere Seite zu schlagen: Weder war es sein Land, noch wusste er mehr als das, was ihm durch die Parteien bruchstückhaft und offensichtlich tendenziös zur Kenntnis gebracht worden war. Grundsätzlich schlug sein Herz für diejenigen, die die rechtmäßig etablierte politische Ordnung vertraten, aber die von den Falangisten verfochtenen Argumente erschienen ihm nicht ganz aus der Luft gegriffen. Die Unbeugsamkeit der von der Staatsgewalt unterstützten Regierungsfunktionäre zog ihn wenig an; die Falangisten dagegen strahlten mit ihrer Leichtigkeit und ihrem jugendlichen Wagemut die Romantik der Verlierer aus. Ganz zu schweigen natürlich von Paquita: Würde sie ihm verzeihen, dass er José Antonio und ihre eigene Familie verraten und seinem Heil den Vorrang vor der Loyalität gegeben hatte?
Und schließlich: Wenn er die Wahrheit sagte, was geschähe dann mit dem Bild? Wahrscheinlich würde die Regierung es unter irgendeinem juristischen Vorwand beschlagnahmen und in den Prado hängen. Das wäre ein Ereignis von universeller Tragweite, und er wäre ausgeschlossen. Von allen schlechten Omen war das das schlechteste.
Aber all diese Erwägungen führten in den Sand. Als er vor dem Ministerialdirektor das Offenkundige abgestritten hatte, dann nur, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, und statt ihm eine mögliche Lösung zu bescheren, bestärkte ihn jetzt das Nachdenken noch in seinen Befürchtungen. Man würde ihn hier nicht gehen lassen, solange er sich nicht mit einer gewichtigen Enthüllung freikaufte. Aber was konnte er ihnen schon verraten? Eine Lüge würde sofort entlarvt und alles nur noch verschlimmern – seine Gegner waren ja keine Einfaltspinsel. Anderseits würde es ihm auch nicht viel nützen, die Wahrheit zu sagen. Er war nicht in der Lage zu verhandeln. Ihm würde es wenig bringen, die wie immer gearteten Pläne des Herzogs auffliegen zu lassen; höchstens eine diskrete Ausweisung statt eines Strafprozesses mit einem langen Gefängnisaufenthalt. Die Aussicht, in eine spanische Strafanstalt eingewiesen zu werden, machte ihm zu Recht Angst. Auch wenn er die Prüfung überlebte, sein Privat- wie sein Berufsleben wären unwiederbringlich zerstört.
Der Hunger, die Müdigkeit nach einem langen Tag voller Zwischenfälle, die Kälte dieser Zelle, die unheilvolle Stille, die Dunkelheit um ihn herum und die Angriffe von Flöhen und Wanzen, das alles trug nicht eben dazu bei, seine Stimmung zu heben. Es stank, und zum Ausruhen hatte er nur einen Zementblock. Als er vor Erschöpfung endlich in Schlaf fiel, hatte er hingegen einen angenehmen Traum: Er war in London und spazierte am Arm einer schönen Frau, die manchmal Paquita und manchmal seine ungehaltene Geliebte Catherine war, durch den St. James’s Park. Es war ein wundervoller Frühlingsmorgen und der Park sehr belebt. Wenn sie an ihnen vorbeigingen, grüßten alle Spaziergänger,
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