Katzenmond
Zerwürfnis gekommen. Sie soll seiner überdrüssig geworden sein. Offiziell hat sie ihn nicht verbannt, aber ich habe aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass er bei der Königin kein Gehör mehr findet.«
Vater hatte sich also mit seiner Liebsten zerstritten, und womöglich stand sein Job auf dem Spiel. Ich hätte gern etwas Mitgefühl aufgebracht, aber nach allem, was er Camille – und Menolly und mir – angetan hatte, fiel mir das schwer. Ich konnte mir eine leise Schadenfreude nicht verkneifen.
Camille sagte nichts, doch die Nachricht entlockte ihr ein trauriges Lächeln, und sie verschränkte die Hände im Schoß. Smoky schlang ihr einen Arm um die Schultern.
Die friedvolle Ruhe der Elfenstadt erfasste mich. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen, und Sehnsucht breitete sich in mir aus wie kleine Wellen auf einem Teich. Ich vermisste die Anderwelt. Ich vermisste mein Zuhause … aber wo war das eigentlich, zu Hause?
»Wir sind wahrhaftig Windwandler, nicht wahr? Ohne richtiges Zuhause.«
Camille neigte den Kopf zur Seite. »Ach, Süße, nicht doch. Windwandler sind nirgendwo zu Hause. Aber wir – wir haben nicht nur eine Heimat, wir haben
zwei.
Wir können uns wirklich glücklich schätzen.« Sie beugte sich zu mir vor und nahm meine Hand. »Das ist eine Frage der Perspektive.«
Schweigend dachte ich darüber nach, was sie gesagt hatte, und starrte aus dem Fenster, während wir die Hauptstraße zum Palast entlangklapperten. Der Elfenhof war von Gärten umgeben und so rein und sauber wie die Luft. Die Straße war großzügig breit und mit braunem Stein gepflastert. Sie endete in einer Sackgasse mit einer grasbewachsenen Insel im Pflaster, aus der eine Eiche so hoch emporragte, dass man den Wipfel kaum sehen konnte. Ein Kreis aus früh blühenden Jaspen – ganz ähnlich wie die Krokusse der Erdwelt – umschloss die Insel. Ihre duftenden weißen Blüten bildeten einen starken Kontrast vor dem sattgrünen Gras.
Die Kutsche rollte in die Sackgasse hinein und hielt vor dem Portal. Der Kutscher öffnete die Tür und half Camille und mir hinaus in die kühle Luft. Auch in der Anderwelt hatte der Frühling gerade erst begonnen. Die Männer folgten uns. Als ein Wächter zu uns trat, um uns in den Palast zu geleiten, verabschiedete der Kutscher sich mit einer Verbeugung von Trenyth.
Wir liefen durch die großzügigen Hallen und Flure zum Thronsaal. Chase wandte den Kopf hierhin und dorthin und verrenkte sich fast den Hals, um alles zu bestaunen. Vor einer Holzschnitzerei, die sich an einer ganzen Wand entlangzog, blieb er stehen. Die in Eiche geschnitzten Bilder zeigten eine Prozession von Elfen durch das Waldland nördlich des Sees Arvanal, wo die Elfen ihre heiligsten Rituale abhielten. Die erhabenen Ränder des Reliefs waren mit Silberfarbe angehaucht, und das Metall glitzerte im gedämpften Licht, das durch die Bleiglasfenster hereinfiel.
Chase hob die Hand, hielt sich jedoch einen Fingerbreit vor der Schnitzerei zurück, statt sie zu berühren. »Das … Hier drin ist so viel Magie. So viel Geschichte.«
Camille trat zu ihm. »Ja. Aber fass es nicht an. Das würde man als sehr ungezogen betrachten.« Dann blickte sie plötzlich auf. »Stimmt – das habe ich bei all dem Ärger mit den Treggarts beinahe vergessen. Einer deiner entfernten Vorfahren war ja ein Elf. Möglicherweise reicht das aus, damit dein Blut diesen Ort wiedererkennt.«
Er nickte mit zusammengepressten Lippen und schloss sich uns wieder an. Trenyth bedeutete uns, dass wir uns beeilen sollten. Wir folgten ihm in den Thronsaal. Dort saß auf ihrem Thron aus Eiche und Ilex die Elfenkönigin, so alt wie die Welt, so jung wie der Frühling. Sie trug ein Gewand in Silber und Blau, und ihr Haar war in Zöpfen hochgesteckt, wie Iris sie oft trug.
Königin Asteria mochte so alt sein wie die Hügel selbst und auch schon ein paar Falten im Gesicht haben, doch ihr Haar war immer noch flachsblond. Elfen alterten so langsam, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, wann die Königin einmal jung gewesen war – das musste Tausende und Abertausende Jahre her sein. Sie war die Weisheit in Person, obwohl wir manche ihrer Entscheidungen anzweifelten. Und als sie sich erhob, knieten sämtliche Elfen im Saal vor ihr nieder. Camille sank in einen Knicks, während die Männer und ich uns tief verneigten.
Mit einem Wink bedeutete sie uns, dass wir uns aufrichten durften. »Erhebt euch, meine Freunde, und setzt euch zu mir. Esst und trinkt,
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