Katzenmond
recht. Besser, er pickte gleich und verankerte die Sachen dabei in einem unantastbaren Teil seines Gedächtnisses, ehe er sich niederlegte.
Bei Wu und ihrem Schatten war er einen Sprung weiter. Aber beim wesentlichen Teil seiner Ermittlungen tappte Serrano nach wie vor im Nebel. Zwischendurch war er sogar geneigt gewesen, das nahezu zeitgleiche Auftauchen der beiden Leichen dem Zufall zuzuschreiben. Schließlich stieß auch niemandem auf, wenn zwei Katzen knapp hintereinander Junge warfen. Müde und missmutig betrachtete Serrano eine Ameise, die über seine rechte Pfote krabbelte. Er schüttelte sie. Als er sie wieder absetzte, hatte die Ameise nur die Richtung geändert. Was sollte das nun wieder?
»Sprich deutlicher!«, knurrte er Bismarcks Geist zu. »Oder sei …« Das letzte Wort blieb stecken. Er sah wieder auf dieAmeise. Zurück! Bleib am Pelz, aber ändere die Richtung, verrenne dich nicht! War es das, was der Geist ihm sagen wollte? Der Geist eines Katers, der zeit seines Lebens ein erbitterter Feind des Zufalls gewesen war?
Zu Recht, dachte Serrano, plötzlich beschämt. Wie konnte man nur auf die blödsinnige Idee kommen, Leichen mit Neugeborenen zu vergleichen? Selbst hundert Neugeborene an einem Tag waren nur ein hundertfacher Beweis der natürlichen Ordnung, während ein einziger gewaltsamer Tod sie durcheinanderbrachte. Unabhängig davon, ob Katze oder Mensch. Und gegenwärtig verzeichnete das Revier gleich zwei davon. Infolgedessen kam, wie es sich gehörte, jemand herbeigeeilt, um die Ordnung wiederherzustellen. Im Fall des nassen Menschen Liebermann, in Krümels er. Darüber und dazwischen agierte der Schatten. Serranos Müdigkeit schwand. Dafür erwachte in ihm das Bedürfnis, sofort zum Kompost zu rennen, um nach einer bislang unentdeckten Witterung zu suchen. Er rang es nieder. Unsinn. Falls es je Spuren auf dem Kompost gegeben hatte, waren sie längst erkaltet. Aber vielleicht, dachte Serrano mit wachsender Erregung, wurde andersherum ein Fang draus. Wenn er nicht vom Opfer ausgehend der Spur folgte, sondern umgekehrt. Und wenn er eisern bei einem Zusammenhang zwischen Mensch und Katze blieb. Was bedeutete, dass der Mörder menschlich war. Denn Serrano hatte noch nie von einer menschenmordenden Katze gehört. Außerdem hantierten Katzen, da teilte er Majas Zweifel insgeheim, weniger mit Giften als mit Zähnen und Krallen.
Allerdings – woher sollte er wissen, ob der Nasse überhaupt vergiftet worden war? Lomo zufolge war er aus dem Wasser gekommen. Dennoch schien es Serrano unwahrscheinlich, dass er einfach ertrunken sein sollte. Soweit er wusste, schwammen Menschen genauso gut wie Katzen, es sei denn, man steckte sie in einen Sack. Einen Sack hatte Lomo nicht erwähnt.
Serrano blickte auf seine rechte Pfote und lächelte. Leer. Offenbarhatte Bismarcks Geist sich schlafen gelegt. Zu Lebzeiten hatte Bismarck das nur getan, wenn er sicher war, dass die Dinge ihren ordnungsgemäßen Verlauf nahmen.
Elsa Laurent schlug verärgert den »Ulysses« zu, an dem sie sich seit Wochen die Zähne ausbiss, und warf einen Blick zum Wecker. 23:53 Uhr. Was, verdammt, war mit Esteban los?
Sie löschte die Leselampe und ging zum Fenster. Trotz der Dunkelheit in ihrem Rücken dauerte es eine Weile, bis sie etwas zwischen den milchigen Laternen erkannte. Nichts Aufregendes, nur eine flache Bewegung, die von einer der Kastanien vor dem Haus eingefangen wurde. Wahrscheinlich wieder einer der lästigen Kater, die es wegen Constanzes Perserinnen hertrieb. Nach ein paar Abenden Ruhe hatte Elsa gehofft, dass Esteban das Problem endlich in den Griff bekommen hatte. Mitnichten. Sie starrte noch einige Sekunden hinaus, dann öffnete sie das Fenster und ließ sich die Nachtluft über die Stirn fächeln. Dabei fiel ihr auf, dass das Bellen nicht von vorn kam, sondern aus dem Garten. Eine beklemmende Sekunde lang glitt ein Schatten durch ihre Gedanken. Was, wenn wieder jemand auf Raubfang war? Im hinteren Teil des Gartens schlummerte auf einer kleinen Stele eine Venus. Eine Nachbildung natürlich, aber immerhin aus Marmor. Der Typ musste Nerven haben, wenn er es wagte, nachts an Esteban vorbeizuschlendern, um sich die nächste Skulptur zu holen. Mit einem Kopfschütteln verwarf Elsa den Verdacht. Inzwischen kannte sie Constanzes Hund lange genug, um die Nuancen seines Gebells unterscheiden zu können. Dieses hier klang nicht nach Warnung. Als sie zum Bett zurückkehrte, tauchte allerdings ein neuer, nicht minder
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