Katzenmond
Gegend ist populär geworden, da stehen gepflegte Häuser mit günstiger Miete hoch im Kurs.«
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Liebermann. »Ich muss zur Arbeit.«
»Ach ja.« Über die Runzeln des Alten zog ein Leuchten. Wie aus Versehen legte er seinen Besenstiel noch ein wenig schräger.»Ich hatte vergessen, dass Sie bei der Kripo sind.« Er hielt bedeutungsvoll inne.
»Richtig. Und derzeit gibt es viel zu tun. Deshalb …«
»Zweifellos. Die Fahrraddiebstähle im Zentrum, da sollte man mal jemanden drauf ansetzen, wenn Sie mich fragen. Und die Sache mit dem Ertrunkenen aus der Havel hängt wohl auch noch in der Luft.«
Liebermann schwieg.
»Sie dürfen wahrscheinlich nicht darüber reden«, fuhr Bellin versonnen fort, »wegen laufender Ermittlungen und so weiter, aber als ich die Notiz in der Zeitung gelesen habe, dachte ich, dass einer ja vollkommen plemplem sein muss, um an der Stelle zu ertrinken. Es sei denn, er war schon verletzt oder ohnmächtig, als ihn einer reingeschubst hat.«
Trotz seiner miserablen Stimmung begann Liebermann Gefallen an der Kombinationsfreude des Alten zu finden. Und noch mehr an den Verrenkungen, mit denen er seine Neugier zu befriedigen suchte, ohne eine direkte Frage zu stellen, was sich, wie Liebermann inzwischen wusste, schlecht mit seinem Stolz vertrug. Er beschloss, ihn ein wenig auf die Folter zu spannen. »Der Gedanke liegt nahe.«
»Natürlich«, meinte der Alte und lehnte endlich den Besen gegen die Wand. Im Moment hinderte Liebermann nichts daran, sich ins Haus zu verdrücken. Aber er blieb stehen, sei es, weil er sehen wollte, wohin die Raterei Bellin am Ende führte, sei es, weil er auf der anderen Seite gerade Serrano erspähte. Währenddessen überlegte Bellin weiter. »Für Ohnmachten kann es natürlich tausenderlei Gründe geben. Letztes Jahr zu Weihnachten bin ich umgekippt, als ich einen Kerzenhalter am Weihnachtsbaum befestigen wollte. Kreislaufkollaps. Mein Arzt hat mir gesagt, dass man ab einem bestimmten Alter die Arme nicht länger als zehn Sekunden über den Kopf halten soll.«
»Ach«, machte Liebermann, während ein Teil seines Gedächtnisseseine blaue Tüte aus seinem Erinnerungsschutt sortierte und zusammen mit einem stinkenden bräunlichen Haufen zu einer Collage anordnete.
»Aber da Ihr Toter selber Arzt war, sollte er das eigentlich wissen«, fuhr Bellin fort. »Außerdem wäre er bei Ohnmacht wohl eher auf den Weg geschlagen und nicht in die Havel. Tja, mehr fällt mir so ad hoc nicht ein. Es sei denn, er war verletzt.« Er kniff die Augen halb zusammen und schielte zu dem Kommissar empor.
»Das war er«, sagte Liebermann, den die Ermittlerfreude des Alten so rührte, dass er sich spontan zu einem Tipp entschloss. »Wenn auch nur innerlich, denn die Waffe bestand aus einem Beerenkompott.«
Bellin trat einen Schritt zurück. »Eine Nahrungsmittelallergie etwa?«
»So könnte man sagen.«
»Und wogegen war der Doktor allergisch?«
»Gegen Tollkirschen.«
Für eine Weile kehrte Stille ein.
»Sie machen sich über mich lustig«, murrte der Alte dann. Während er die Furchen seiner Stirn zusammenzog, nahm Liebermann aus dem Augenwinkel Serranos Abgang wahr.
»Nur damit wir uns richtig verstehen«, setzte Bellin wieder an. »Würden wir uns im neunzehnten Jahrhundert befinden, hätte ich nichts gesagt. Aber heutzutage gibt es in Potsdam keine Tollkirschen mehr. Flächendeckender Kahlschlag nach einem Vergiftungsfall von 1955. Vier Kinder, nur zwei haben überlebt. Obwohl …« Nachdenklich scheuchte er ein flüchtiges Blatt auf den Haufen zurück. »Im Botanischen Garten haben sie so gut wie alles. Aktuell Rote Bete, so groß wie Kindsköpfe, Kürbisse in allen Farben und Bohnenbüsche, bei denen man das Heulen kriegt. Die Gurken sind ein bisschen mau dieses Jahr, aber dafür steht der Rosenkohl ganz gut. Jedenfalls, was ich sagen wollte, die haben danicht nur Gemüse, sondern auch alle möglichen anderen Nutzpflanzen. Ja«, sagte er und trumpfte mit dem Besen auf den Haufen, so dass er auseinanderfiel. »Jetzt fällt’s mir ein: Schräg hinter den Gurken. Letztes Jahr hatten sie sie woanders, aber sie wechseln immer mal, wegen der Fruchtfolge. Tollkirschen sind einjährig, auch wenn man’s ihnen nicht ansieht.«
Liebermann schwieg darüber, dass er einer Pflanze höchstens den Grad ihres Dahinwelkens ansah. Stattdessen fragte er: »Wäre es Ihrer Meinung nach möglich, im Botanischen Garten unbemerkt etwas zu ernten?«
»Sicher,
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