Katzenmond
wenn man außerhalb der Stoßzeiten kommt«, erwiderte der Alte grinsend. »Kurz vor achtzehn Uhr wäre mein Tipp. Am besten bei Regen.«
Liebermann nervte Serrano. Er war losgelaufen, um über die leidige Frage des Gifts nachzudenken. Doch jedes Mal, wenn ihm der Ansatz einer Idee kam, schielte sie ihm Liebermann aus dem Augenwinkel weg. Sollte ihm dieser verschränkte Blick vielleicht etwas sagen? Zum Beispiel, dass die Masse in Liebermanns Schädel endlich in Wallung geriet, nachdem er ihm gestern vor dem Katzenhaus so heroisch in den Weg gesprungen war? Serrano trabte los. Er hatte kein besonderes Ziel, falls Bewegung nicht Ziel genug war. Während er lief, fragte er sich, wie Bismarck es fertiggebracht hatte, ununterbrochen auf seinem Hinterteil zu sitzen, ohne dass ihm die Gedanken davongerannt waren.
Ehe Serrano es sich versah, lag das Revier in seinem Rücken, und er tauchte in den Park. Rechts zogen sich Hecken, links Wiesen. Unter ihm knirschte Kies. Mühsam zwang Serrano sich zu halten und blickte auf seine Pfoten hinunter. Was sollte das? Was veranlasste sie, sich vom Geist zu trennen? Instinkt, hätte Bismarck gesagt und abfällig gehustet. Verwirrt sah Serrano sich um. Einige Meter entfernt stritten sich zwei Elstern um einen Apfel. Er kannte die Gegend, er war unlängst mit Cäsar hier gewesen.Schräg hinter der Hecke befand sich eines der seitlichen Parktore, hinter dem das Katzenhaus lag. Folgte er dem Weg geradeaus, kam er irgendwann an den Kompost, auf dem sie Krümel gefunden hatten. Was von beidem hatten seine Pfoten zum Ziel gehabt? Neben Serrano bewegte sich das Laub. Kurz darauf wackelte ein Igel missmutig davon. Gleichzeitig kündeten Schritte einen Menschen an. Serrano sah sich um, entdeckte zu seiner Erleichterung eine Bank und tat, was er im Fall sich nähernder Fremder immer tat.
Kaum hatte er den Schwanz eingezogen, glitten die Schritte an ihm vorbei. Regelmäßiger Aufschlag der Fersen, gleichmäßiges Abrollen. Serrano duckte sich, um im Zweifelsfall auszubüxen, obwohl kaum zu erwarten war, dass der Läufer ihn bemerkt hatte, geschweige denn, dass er etwas von ihm wollte. Reine Gewohnheit. Irgendwo schrie ein Vogel. Ein sterbender, etwa mittelgroßer Vogel, dachte Serrano gleichgültig, während seine Augen einige weiße Streifen auf dunklem Grund wahrnahmen.
Sie waren längst vorbei, als er endlich schaltete. Schuhe, die aussahen wie er.
Ein Stück voraus fand er sie wieder. Eng an die Hecke gedrückt, folgte Serrano ihnen. Von ihrem Träger waren kaum mehr als ein Rücken und eine Kapuze über wehenden Beinfellen auszumachen. Sie erreichten eine Kreuzung. Der Läufer oder die Läuferin bog nach links ab, die Richtung, in der das Katzenhaus lag. Serrano zögerte. Vor ihm lag deckungsfreies Land.
Erst als die Schuhe schon fast außer Sicht waren, berappelte er sich. Wie ein Frettchen im Angriff schoss Serrano vorwärts, den Weg entlang, durch das Parktor und landete inmitten einer Gruppe halbwüchsiger Menschen, die zur Traube geballt den Platz vor dem Parkeingang blockierten. Mit angelegtem Ohr jagte er an ihnen vorbei, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich die Tür des Katzenhauses schloss. Gleichzeitig schlossen sich ein Stück links von ihm die Türen eines Schienenwurms.Was nun? Dem Wurm folgen? Sinnlos. Das Katzenhaus überprüfen? Serrano lächelte in sich hinein. Wu würde ihn hassen, aber er hatte Fragen zu beantworten. Und was konnte er dafür, dass ihn sein Weg dabei immer wieder ins Katzenhaus führten?
Es schien fast, als hätte sie auf ihn gewartet. Sie hockte, flankiert von den beiden jüngeren Perserinnen, auf dem Terrassensofa, während Dahlia sich in einem der Sessel räkelte, und lächelte herablassend. »Kommst du, uns in unserem Elend Gesellschaft zu leisten? Oder solltest du etwa das Geheimnis des Schattens gelüftet haben?«
Serrano sah sich nach einer erhöhten Sitzgelegenheit um und sprang, als er keine fand, auf die Balustrade. »Welches Geheimnis?«
Vier Augenpaare, drei gelbe und ein blaues, folgten ihm. Zufrieden registrierte Serrano, dass sie zu ihm aufblickten. »Ihr wisst, wer euer Schatten ist«, sagte er gelassen. »Spätestens seit dem nächtlichen Überfall auf Bella und danach auf dich seid ihr euch darüber im Klaren. Kein Hund, kein anderes tierisches oder menschliches Monstrum, sondern das, wovor ihr euch seit dem Sommer in eurem Garten versteckt, wovor Esteban euch schützen soll und was euch dennoch vielfach umgibt, ist –
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