Katzenmond
Makifingern aus dem Schrank geklaut hatte. Der Gedanke an den Hauptkommissar ließ Franziska eilig zum Glas greifen. Weg mit dem Affen. Am Ende waren sie ohnehin alle gleich.
Mit einem energischen Ruck schob Franziska die Fotos zusammen und sah auf die Uhr. Halb zehn. Spät, aber nicht zu spät. Elsa war früher nie vor Mitternacht zu Bett gegangen, und es gab keinen Anlass anzunehmen, dass sie ihre Gewohnheiten geändert hatte.
Unter dem spanisch anmutenden Gestammel ihres Mannes schlich Franziska in den Flur, schlüpfte in einen Mantel und verließ die Wohnung.
Auf dem Weg zum Katinka stopfte Liebermann sich notdürftig das Hemd in die Hose. Ralph war so respektvoll gewesen, über seine verlotterte Kleiderordnung hinwegzusehen, David hingegen wollte er halbwegs zivilisiert begegnen.
Zu seiner Enttäuschung fand er jedoch Jürgen hinter dem Tresen. »Sind dir die Zigaretten ausgegangen, Liebermann?«
»Noch nicht«, entgegnete Liebermann und klopfte sich auf die Jackentasche. »Ehrlich gesagt habe ich gehofft, deine neue Aushilfe hier zu treffen.«
»Wozu?«
»Warum fragst du? Spielst du neuerdings die Gouvernante für deine Angestellten?«
Jürgen drehte sorgsam die Krone des letzten Biers unter dem Hahn hervor und stellte es auf den Tresen. »Nein. Aber du«, sagte er und bohrte Liebermann einen Zeigefinger vom Durchmesser einer kleineren Zuckerrübe in die Brust, »bist soeben in mein Reich eingetreten. Und in meinem Reich wird nicht rumgekläfft.Hier gelten die Regeln höflicher Konversation.« Er zog seinen Finger wieder ab und griff nach dem nächsten Glas. »Du musst dich ein bisschen gedulden. David ist vor zehn Minuten zu Timmi rüber.« Liebermann war, als sei plötzlich eine der Neonlampen über dem Tresen ausgegangen. »Zu Timmi?«
»Tu nicht so betroffen«, schnaufte Jürgen. »Nach allem, was du ihm heute Nachmittag angetan hast. Ich hoffe nur, du hast Timmi nicht zu sehr bluten lassen. Vielleicht weißt du es nicht, aber er hat schon ausreichend geblutet. Deshalb und weil ich mich ein bisschen für ihn verantwortlich fühle, liegt mir daran, dass man ihn in Zukunft in Ruhe lässt. Und zu meiner Vorstellung von Ruhe gehören keine Verhörkammern.«
»Wir haben in meinem Büro gesessen«, brachte Liebermann zu seiner Verteidigung vor, »er durfte rauchen.«
»Ich sag’s ja bloß.« Jürgen schob ihm ein Bier hin. »Was soll er deiner Meinung nach überhaupt verzapft haben?«
Liebermann legte probeweise seine Hände um das Glas. Kühl. »Wenn Timmi es nicht erzählt hat, möchte ich das vorerst für mich behalten.«
Jürgens Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Na schön. Das ist eine Einstellung, mit der ich leben kann. Man muss nicht alles in die Welt posaunen, denn man weiß nie, was zurückkommt. Besonders wenn Timmi im Spiel ist. Das Bier geht aufs Haus.«
Liebermann fiel auf, dass dies schon das zweite Freibier war, seit er im Fall Kaiser ermittelte. Es kam ihm ein wenig wie Bestechung vor. Aber da Jürgen ihm zunickte, trank er einen Schluck. Und noch einen, als der Wirt durch den Hinterausgang zur Terrasse verschwand, von wo alsbald ein Chor jugendlicher Stimmen erscholl. Dann stellte er das Glas ab und wandte sich zum Gehen. Jürgen polterte wieder herein.
»Wolltest du nicht auf David warten?«
Liebermann zuckte die Achseln. »Wenn er, wie du sagst, bei Timmi ist, gehe ich eben zu Timmi.«
»Miserable Idee.«
»Warum?«
»Weil Timmi einen Flashback hat, darum. Er kam vorhin hier rein, kippte, ohne abzusetzen, drei Wodka und starrte auf den Kühlschrank. Etwa so –« Jürgen riss die Augen auf und richtete sie auf Liebermann. »Auf die Weise habe ich ihn das letzte Mal vor sechzehn Jahren starren sehen. Das bedeutet nichts Gutes. David hat ihn mit Engelszungen bearbeitet, damit er ein bisschen was rauslässt, aber keine Chance. Nur dass Timmi danach statt des Kühlschranks David angestarrt hat.«
»Woher weißt du dann, dass ich für seinen Flashback verantwortlich bin?«
»Na hör mal!«, sagte Jürgen. »Wer hat ihn denn vorhin mit einem Polizeischlitten aus seinem Laden geholt?«
»Das war ein Zivilfahrzeug.«
»Und weggeschleppt wie einen Serienkiller?«
»Wie einen Zeugen.«
»Ach, hör auf! Ich hab genug Krimis intus, um zu wissen, dass man Zeugen nicht mitten aus der Arbeit holt! David ist beinahe ausgeflippt, als ich’s ihm erzählt hab. Meinte, dass es überall dasselbe ist: Ein Typ mit dicker Geldbörse stirbt, und der Polizei fällt nichts Besseres ein, als
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