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Katzenmond

Katzenmond

Titel: Katzenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Anlauff
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fünfzig, dachte Liebermann, maulfaul, erhöhter Blutdruck, markante Kieferknochen, was man allerdings nur sah, wenn er, wie jetzt, das Kinn vorschob. Die Kerbe zwischen seinen Augenbrauen war hoffentlich eine vorübergehende Erscheinung.
    Mitten in seine Betrachtungen hinein räusperte sich Feldmeyer. »Soll ich das Protokoll jetzt unterschreiben, oder wie?«
    »Das ist kein Protokoll«, sagte Otto. »Für das Protokoll macht mein Kollege einen extra Termin mit Ihnen. Aber ich würde Sie bitten, Hauptkommissar Liebermann den Fundort zu zeigen.«
    Der kleine Gärtner erbleichte. »Schon wieder?«
    »Er hat ihn noch nicht gesehen.«
    Feldmeyer setzte zum Widerspruch an. Dann überlegte er es sich anders und wies wortlos auf eine Tür am anderen Ende des Raums. Dahinter ging es zu Liebermanns Überraschung noch einmal in die Tiefe. Nicht viel, weshalb er in der Kajüte, die sie betraten, vorsichtshalber den Kopf einzog. Erst als der Gärtner das Licht eingeschaltet hatte, richtete er sich auf. Sie standen in Büchern.
    Drei der vier Wände wurden bis auf Aussparungen für die Bullaugen von überquellenden Regalen verdeckt. Auch auf dem Fußboden und einem Tischchen lagen, standen und hingen Bücher. Es schien, als wäre eines Tages eine bibliophile Flutwelle über das Schiff hereingebrochen. Liebermann griff nach dem erstbesten Band: Wild und würzig . Unter dem Titel war ein Zweig mit einer Beerenrispe abgebildet. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass es sich um Tomaten handelte.
    »Herrn Feldmeyers Bibliothek«, erklärte Otto, steuerte auf einen Sessel zu, der wie eine Insel aus einem Meer von Buchdeckeln und Zeitschriften ragte, und ließ sich schnaufend nieder.
    »Und das ist das bewusste Fenster.« Er zeigte auf ein Bullauge zu seiner Rechten.
    Es glich denen, die Liebermann schon im Wohnraum gesehen hatte. Bis auf eine Ausnahme: Oben hatte eines der Bullaugen offen gestanden, was bei diesem hier unmöglich war, weil die Riegel fehlten. Durch das Glas blickte er in grünliches Wasser, durch das ein paar undefinierbare Objekte schwebten. »Ist es üblich, Bullaugen unterhalb des Wasserspiegels anbringen zu lassen?«, fragte er Feldmeyer.
    Das Männlein zwinkerte nervös. »Eigentlich nicht. Das hierwar früher der Maschinenraum. Beim Ausbau wurden die Maschinen beseitigt und dafür die Bullaugen in die Wände eingefügt. Mein Vorgänger hat sie ›Aquarium‹ genannt«, fügte er hinzu. »Dieses war sein Schlafzimmer. Ich hab’s auch probiert, ich meine, mit dem Schlafen. Aber es klappt nicht. Eine klaustrophobische Veranlagung vermutlich.«
    Liebermann nickte mitfühlend. Dank einer überwiegend ländlichen Erziehung war er in der Überzeugung aufgewachsen, dass Sauerstoffmangel schlechte Träume erzeuge, weshalb er selbst im Winter mit geöffnetem Fenster schlief. Allein der Gedanke an ein Bett unter dem Wasserspiegel verursachte ihm Atemnot. »Also haben Sie stattdessen Ihre Bibliothek hier unten einquartiert. Und heute Vormittag saßen Sie hier und haben gelesen?«
    »Nein, ich habe nur dieses Buch hier heruntergebracht.« Feldmeyer zeigte auf Wild und würzig . »Ich wollte es zurückstellen und mir stattdessen einen Artikel über Weißleinchen holen, die ich nächstes Jahr anzüchten möchte. Die Fachzeitschriften bewahre ich dort in den Schubern unter den Bullaugen auf. Als ich sie durchgegangen bin, klopfte es plötzlich über mir ans Glas. Ich hab aufgesehen, und da …« Er blinzelte wie verrückt und krümmte die kurzen, für einen Mann auffällig gepflegten Finger wie unter einem Gichtanfall. Liebermann wartete darauf, dass er sich beruhigte. Er hatte Zeugen erlebt, denen auch beim sechsten und siebten Bericht vom Fund einer Leiche noch die Knie schlotterten, und es gab welche, denen schlotterten sie nie. Ihm waren die ersten lieber.
    Er nutzte die Pause, um sich zu dem bewussten Bullauge durchzuschlängeln und Feldmeyers Zeugenposition einzunehmen. Nach einer Weile machte er im trüben Wasser etwas Dunkles, Bewegliches aus. Wasserpflanzen. Demnach konnte der Grund der Havel nicht weit sein. »Der Tote ist hier also angestoßen«, nahm er den Faden wieder auf.
    »Ja, mit dem Kopf. Das Gesicht nach unten.«
    »Die treiben anfangs immer mit dem Gesicht nach unten«, ließ sich Otto von seiner Insel vernehmen.
    »Und wann genau war das?«
    Der Gärtner sah zu Otto. »Halb, dreiviertel zehn so etwa.«
    »Der Anruf ging neun Uhr siebenunddreißig ein.«
    »Ja«, bestätigte Feldmeyer.
    Mehr war aus

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