Katzenmond
hat.«
»Falls Sie diesen Rolli vom mittleren Boot meinen«, unterbrach Simon schüchtern, »der zieht seine Aussage zurück. Er ist sich nicht sicher.«
»Fabelhaft! Was ist mit den Leuten auf dem anderen Boot, von denen Feldmeyer gesprochen hat?«
Müller steckte sein Telefon ein. »Dasselbe. Kann sein, dass der Tote mal unter den Passanten auf der Promenade gewesen ist, aber beschwören wollen sie nichts. Ein ordentliches Gespräch war mit denen sowieso kaum möglich, weil die ganze Zeit ihr Säugling geplärrt hat.« Sein Ton ließ keinen Zweifel daran, was er von plärrenden Säuglingen hielt.
Die pferdeschwänzige Kommissarin warf mit einem Ruck ihren Pony zurück. »Dann fangen wir also bei null an«, fasste sie mit einem sauren Blick auf Müller zusammen. »Unbekannte Leiche in der Havel.«
»Was ist mit der Brille?«, fragte Liebermann. »Dr. Genrich sagte, der Tote sei Brillenträger.«
Otto lüpfte seine Mütze und tupfte sich mit einem Taschentuch vorsichtig über die Kopfhaut. »Ich hab ein paar Taucher rausgeschickt. Ehe die nicht wieder da sind, haben wir keine Brille. Und ohne den Bericht von Genrich keine genaue Todeszeit.«
»Aber eine ungefähre, wenn er höchstens vierundzwanzig Stunden tot ist. Worauf sein Zustand verweist«, fügte Liebermann, den Alten an ihr Gespräch erinnernd, hinzu. Er blickte in die Runde. Simon und die Kommissarin lächelten betreten. Müller studierte zur Abwechslung den Kaktus. Otto nahm sein Notizbuch auf und blätterte darin herum.
Nach eine Minute des Schweigens sagte Müller: »Ich frage bei den Vermissten nach, ob bei denen etwas eingegangen ist.«
»Tu das«, entgegnete Otto und blätterte weiter. Endlich legte er den Block auf den Tisch. »Und du, Simon, klapperst diese windschiefe Bar, den Segelclub und das Promenadenhotel ab. Lass dir unten ein Foto ausdrucken, Brille hin oder her, meinetwegen mal ihm eine ins Gesicht. Ich zeige eurem zukünftigen Chef die Kantine.«
Otto wählte einen Tisch in der hintersten Ecke des Speisesaals, als läge ihm wenig daran, mit dem Neuen gesehen zu werden. Liebermann beobachtete interessiert, wie er sein Besteck zunächst sorgfältig mit der Serviette abwischte, ehe er es auf seinen Teller senkte.
»Eins muss man der Chemotherapie lassen«, seufzte Otto. »Hinterher schmeckt das Essen doppelt so gut.« Sorgsam begann er, mit der Gabel Fleisch von Gemüse und Gemüse von Kartoffeln zu trennen. »Was halten Sie von Ihren Kollegen?«
»Ich frage mich eher, was sie von mir halten«, erwiderte Liebermann vorsichtig.
Der Alte runzelte die Stirn. »Wozu? Was die anderen von Ihnen halten, geht Sie einen Dreck an. Die werden sich, ob sie wollen oder nicht, mit Ihnen arrangieren, solange Sie ihnen zeigen, wer der Chef ist.«
Sein Ton bewirkte, dass Liebermann den Salzstreuer in der Luft behielt, statt ihn zu benutzen. »Auch Müller?«
Otto zuckte die Achseln. »Müller ist ein fähiger Kriminalist. Er unterscheidet ziemlich zielsicher zwischen Schwarz und Weiß, was ihm einen Haufen störender Zwischentöne erspart. Allerdings beeinträchtigt es zuweilen sein Blickfeld. Im Moment hat er Sie im Auge, und zwar auf der schwarzen Seite.«
»Das hab ich bemerkt. Aber mir will nicht in den Kopf, warum. Er kennt mich doch gar nicht.«
»Muss er auch nicht. Es reicht, dass Sie ihm im Frühling die Lorbeeren geklaut haben.«
Der Salzstreuer fiel Liebermann aus der Hand und landete mit leisem Schmatzen in seinem Würzfleisch. »Ich habe was?«
Bedächtig schnitt Otto eine Kartoffel in zwei Hälften. »Erinnern Sie sich an den Kunstkritiker, der von der Aussichtsplattform gefallen ist? Spannende Sache. Es wäre meine gewesen, hätte ich zu der Zeit nicht in einer Klinik gehockt und mich mit Gift vollgepumpt. So war es Müllers. Ich erspare Ihnen die Szene, die er mir gemacht hat, nachdem Sie den Fall innerhalb von ein paar Tagen aus der Welt geschafft hatten.« Er spießte eine der Hälften auf und grinste. »Haben Sie sich eigentlich mal gefragt, warum ausgerechnet Sie für meine Nachfolge nominiert wurden?«
Liebermann schluckte. »Oft.«
»Jetzt wissen Sie’s«, sagte Otto und schob die Kartoffel in den Mund. »Machen Sie sich darauf gefasst, dass Müller Sie herausfordern wird«, meinte er kauend. »Er ist keiner von der fatalistischen Sorte. An ihm nagt der Ehrgeiz, was ich im Prinzip begrüße. Aber er kriegt ihn manchmal nicht richtig kanalisiert. Lassen Sie ihm bloß nichts durchgehen. Nehmen Sie ihn hart ran, er
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