Katzenmond
ab, der Feldmeyers Aussage enthielt, und Dr. Haflinger verabschiedete sich, um zu den Sanitätern in den Leichenwagen zu steigen.
»Wohin fahren sie?«, fragte Liebermann.
Dr. Genrich klopfte eine neue Zigarette aus ihrer Schachtel. »Zu mir, wohin sonst.«
»Aber hieß es nicht, dass Dr. Haflinger fürs Bergmann-Krankenhaus arbeitet?«
Sie wandte sich an Otto. »Wo war Ihr Nachfolger zuletzt angestellt?«
»In einer Vermisstenstelle«, antwortete der Hauptkommissar mit sichtlichem Unbehagen.
»Himmel. Dann versuchen Sie ihm schleunigst die Grundbegriffe einer Mordermittlung beizubringen!«
»Ich bin dabei. Wie wäre es in diesem Zusammenhang mit einer ersten Einschätzung von Ihrer Seite?«
Dr. Genrich stieß eine ärgerliche Rauchfahne aus. »Männlicher Ertrunkener von etwa vierzig. Aufwendig saniertes Gebiss, wie man es in der Gegend hier erwartet.«
»Falls er von hier …«, warf die Kommissarin mit dem Pferdeschwanz ein. Mit einem leichten Schlenker ihrer Hand brachte die Ärztin sie zum Schweigen. »Brillenträger. Und zwar ständiger, den Abdrücken nach. Da er ohne Brille aufgefischt wurde, wird sie wohl noch irgendwo da unten rumliegen.«
Liebermann sah, wie Otto sich Notizen machte. Er stellte den Korb ab und zog seinen eigenen Block hervor.
»Leichte Abwetzungen der Hosenbeine an den Knien«, zählte Dr. Genrich weiter auf. »Vermutlich ist er nicht hier ertrunken. Aber weit weg kann’s auch nicht gewesen sein: erstens wegen der relativ schwachen Strömung, zweitens wegen der Landzunge dahinten, auf der sich dieser komische Segelverein befindet, ich hab den Namen vergessen.«
»Alter Fritz«, half Simon aus, der vom Papierkorb zurückgekehrt war.
»Wie auch immer. Am Steg dieses Segelclubs wäre er jedenfalls hängen geblieben, wenn er weiter oben in die Havel gefallen wäre. Und drittens …« Sie zog an ihrer Zigarette. Geduldig wartete man, bis sie ihre Lungen ausreichend mit Nikotin versorgt hatte. »Wegen der Zeit. Die hätte für eine längere Unterwasserwanderung nicht gereicht.«
Einen Tag. Liebermann wartete darauf, dass Otto es sagte.Aber der Alte schürzte nur die Lippen. Er mischt sich nicht ein, dachte Liebermann, er hält seine Finger im Zaum, damit sie sie ihm nicht abhackt.
Die Ärztin atmete aus und starrte an ihnen vorbei auf den Imbissstand, dessen Betreiber gerade die Angebote von der Tafel wischte. Dann bückte sie sich und klaubte, ohne zu fragen, eine Tomate aus Liebermanns Korb. Sie hielt sie ins Licht und drehte sie langsam zwischen den Fingern.
»Yugoslavs«, erklärte Liebermann.
Sie zuckte die Achseln. »Wem erzählen Sie das?«, fragte sie und ging.
5
Seinen Einzug ins Potsdamer LKA hatte Liebermann sich ein wenig anders vorgestellt. Allerdings musste er zugeben, dass das Eilverfahren, in dem Hauptkommissar Otto ihn durch sämtliche Dezernate jagte, etwas für sich hatte, ersparte es ihm doch die Peinlichkeit offizieller Antrittsbesuche. Nach einer halben Stunde setzte Otto ihn in einem kahlen Büro ab, wo der Rest des Teams bereits auf sie wartete. Bis auf einen einsamen Kaktus auf dem Fensterbrett hatte Otto seine persönlichen Sachen entfernt.
»Den hab ich bei einer Tombola gewonnen«, sagte Otto, der Liebermanns Blick gefolgt war. »Wenn Sie ihn nicht wollen, werfen Sie ihn einfach weg.«
Liebermann beschloss, ihn zu behalten. Die Gesellschaft einer stachligen Kugel mochte sich im Training für den Umgang mit Oberkommissar Müller vielleicht noch als nützlich erweisen.
Auf der Fahrt ins Amt hatte Liebermann versucht, Müller in ein höfliches Gespräch über den Fall und die meteorologischen Besonderheiten des Septembers zu verwickeln. Die Antworten waren kurz und mürrisch ausgefallen und erst gekommen, nachdem Müllers Blick zu Otto gewandert war, als bräuchte er dessen Redeerlaubnis. Jetzt hockte er steif auf einem Klappstuhl und hielt stumme Zwiesprache mit seinem Handy.
Immerhin schien sich wenigstens der junge Simon über seine Anwesenheit zu freuen. Er brachte Kaffee, ließ Liebermann den Vortritt bei der Milch und setzte sich ihm gegenüber neben die junge Kommissarin mit dem Pferdeschwanz, deren Namen Liebermann schon wieder vergessen hatte. Etwas mit zwei Silben. Sie rührte in einem Becher und betrachtete den Neuen verstohlen durch ihren Fransenpony, als Otto sein Notizbuch auf denTisch warf. »Mager, mager. Keine Papiere, keine Schlüssel, überhaupt nichts Persönliches. Und nur einen Zeugen, der unseren Mann schon mal gesehen
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