Katzenmond
vorsichtig den Internisten.
»Was soll mit dem sein?«, fragte der Schwager.
»Um das herauszufinden, bin ich hier.«
Die Männer blickten Liebermann enttäuscht an.
»Dann verstehe ich nicht, wieso Sie erst einen Haufen alter Geschichten aus uns rausleiern, statt zur Sache zu kommen«, sagte der Vereinsvorstand. »Wir haben unsere Zeit auch nicht im Lotto gewonnen.« Sein Schwager schürzte zustimmend die Lippen.
Eine Sekunde lang war Liebermann versucht, sich zu rechtfertigen. Doch im letzten Moment erkannte er die Taktik wieder. Seine Exfrau hatte sie häufig angewendet, wenn ihr bei ausschweifenden Erzählungen der Faden verloren gegangen war. Der größte Fehler in einem solchen Fall war, sich auf eine Diskussion einzulassen. Mit dem angenehmen Gefühl, dazugelernt zu haben, stellte Liebermann seine Frage.
Die Mienen der Männer wurden noch finsterer. »Das ist nicht sein Ernst«, stellte der Vereinsvorstand für seinen Schwager klar. »Er muss verrückt sein, wenn er glaubt, dass einer von uns Leichen versteckt.«
»Nicht Leichen«, präzisierte Liebermann, »sondern einen, der erst im Begriff steht, eine Leiche zu werden. Nach der Umwandlung hat der Mörder ihn bekanntlich in die Havel geworfen.«
Stille.
»Ist das die neue Art, wie die Polizei redet?«, erkundigte sich der Schwager. »Umwandlung, im Begriff stehen? Werden für so etwas Weiterbildungen finanziert?«
»Nein«, sagte Liebermann. »Das ist nur meine Art zu reden. Sagen Sie mir, welchen Punkt meiner Ausführungen Sie nicht verstanden haben.«
»Punkt meiner Ausführungen«, wiederholte der Schwager kopfschüttelnd. »Ich sag Ihnen mal was: Wenn Sie Auskünfte von normalen Leuten wollen, dann reden Sie mit ihnen auch normal.«
Liebermann hatte die permanenten Zurechtweisungen satt. »Also schön. Wie wär’s damit: A: Ein Mann wurde letzten Mittwoch vergiftet und in die Havel geworfen.«
Der Vorstand öffnete den Mund, kam aber nicht dazu, etwas zu sagen.
»B: Da es sich um ein Gift handelt, das zwar schnell wirkt, aber langsam zum Tod führt, muss der Vergiftete bis zum Ablebenin der Nähe der Fundstelle aufbewahrt worden sein. C: Der Segelclub befindet sich keine zweihundert Meter von der Fundstelle des Toten entfernt.«
Stille. Nach einigen Sekunden schloss der Vorstand seinen Mund wieder und stapfte davon. Als er zurückkehrte, knallte er ein paar Blätter auf den Tisch. »Das Vereinsregister«, knurrte er. »Viel Spaß beim Telefonieren.«
Liebermann erhob sich und verließ den Bungalow um ein Vorurteil ärmer: dass das Temperament von Seglern dem ihres Lieblingselements glich.
Auf dem Rückweg zur Promenade schrieb er Nico eine SMS. Bin einsam. Dann steckte er das Handy weg und sah sich um. Links neben ihm schlief das Hausboot der jungen Eltern mit heruntergelassenen Rollläden. Auf dem daneben deutete metallisches Hämmern darauf hin, dass Rolli bei der Arbeit war.
Liebermann wandte sich dem dritten zu.
Obwohl kein Tisch neben dem Steg stand, hegte er berechtigte Hoffnung, den kleinen Herrn Feldmeyer zwischen seinen Tomaten anzutreffen. Es war Sonnabend, und die Schulen hatten geschlossen.
Zum zweiten Mal in dieser Woche schlug Liebermann sich durch den getüpfelten Dschungel und kletterte die Stiege zum Wohnbereich des Dampfers hinunter, um dort festzustellen, dass der Weg in den kleinen Vorraum diesmal von einer verschlossenen Tür blockiert war. Statt einer Klingel fand er daneben eine Messingglocke, die einen überraschend hellen Ton von sich gab.
Er wartete eine halbe Minute, dann bewog ihn ein Scheppern aus dem Inneren des Bootsrumpfs, den Klöppel erneut zu schwingen. Eine weitere Minute später öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. »Sie schon wieder«, murmelte Feldmeyer.
Liebermann betrachtete interessiert den glänzenden Film, der sich über das Gesicht des Lehrers zog. Es sah aus, als wäre Feldmeyergerade aus einem Schmalztiegel gekrochen. Der Kragen seines Rollkragenpullovers lag ihm in unordentlichen Schlingen um den Hals, und die nach allen Seiten abstehenden Haare kündeten von elektrostatischer Aufladung. Während er sein Anliegen vortrug, bemerkte Liebermann gerötete Augenränder und etwas Glitzerndes an Feldmeyers rechtem Ohr. Im selben Moment fuhr dessen Hand nach oben. Als sie sich senkte, war das Glitzern verschwunden.
»Ich weiß nicht, ob ich noch genügend Yugoslavs für ein Pfund zusammenkriege«, sagte Feldmeyer mürrisch. »Gestern bin ich eine Stiege an den Gemüseladen hinter der
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