Katzenmond
hatte, aber nicht, wen.
Widerwillig versenkte Franziska sich in die Pixel des Fotos. Sie sah nur noch schwarzweiße Punkte, was sie als angenehm neutral empfand. Allerdings begann sie nach einer Weile zu schielen. Nebenan rief ihr Mann etwas von kochendem Wasser. Franziska stand auf und stellte den Herd aus.
Als sie wiederkam, um die unselige Zeitung wegzulegen, fiel ihr Blick auf das Lächeln der dunkelhaarigen Frau. Verdammt! Sie legte die Hand auf das Bild und schob in Zeitlupe Zeige- und Mittelfinger auseinander, so dass ausschließlich der Mund zu sehen war. Verfluchter Mist! Mit diesem Fazit war der Sonntag zu Ende gegangen.
Am Montagmittag, nachdem sie fast eine Stunde brütend über dem kalten Blauen gestanden hatte, hielt Franziska es nicht mehr aus und verließ das Institut in Richtung Brandenburger Vorstadt. Unterwegs wurde ihr bewusst, dass sie gerade im Begriff stand, einen Leitvorsatz ihres Lebens zu brechen. Nicht an die Vergangenheit rühren!
Sie warf ein halbvolles Saftpäckchen aus dem Fenster, überholte fluchend einen Radfahrer und raste beinahe in den nächsten, der gerade aus einer Einfahrt kam. Das Viertel der Freigeister, hatte sie mal irgendwo gelesen. Der Bekloppten traf es wohl besser.
Offenbar waren hier nicht nur die Menschen bekloppt, stellte sie fest, als zehn Meter vor ihr eine getigerte Katze seelenruhig die Fahrbahn überquerte. Franziska trommelte aufs Lenkrad, bis sie vorüber war, und fuhr in Schritttempo weiter. Die Straße stimmte, fehlte noch das Haus.
Einige Sekunden später hatte sie es entdeckt. Vorsichtshalber lenkte Franziska das Auto durch die Einfahrt daneben und gelangteauf den Hof eines maroden Mietshauses. Als sie ausstieg, begegnete sie den Augen einer Katze, die von einer Mülltonne böse zu ihr aufstarrte. »Tu nicht so, als ob es dein Hof wäre«, sagte Franziska. Gleich darauf fragte sie sich, ob die Blödheit des Viertels bereits auf sie abfärbte. Sie redete mit Katzen!
Aber auch mit Leichen, beruhigte sie sich, als sie den Hof verließ und links um die Ecke bog. Im Gehen zog sie eine Sonnenbrille aus der Tasche und schob sie auf die Nase. Derart getarnt näherte Franziska sich der Villa mit dem goldenen Schild. Sie hatte sie fast erreicht, als es neben ihr raschelte und der getigerte Verkehrssünder von vorhin an ihr vorbeiwischte. Ohne Notiz von ihr zu nehmen, schlüpfte er durch den Zaun der Schule. Im selben Moment legte sich eine Hand auf ihre Schulter.
»Welch Überraschung«, sagte eine Stimme, von der ihr auf der Stelle übel wurde. »Führt Sie der Altweibersommer hierher oder ein postmortales Geständnis unseres Internisten?«
Franziska unterdrückte einen akuten Impuls, nach hinten auszutreten. »Bewegungsdrang«, knurrte sie und marschierte weiter, an der Villa vorbei. Richtung Stadtgrenze, Wald, Pampa, irgendwohin, wo sie ihrer Wut ungezügelt ihren Lauf lassen konnte.
Unter einem Zierrhabarber hielt Serrano an, um sich zu putzen. Mit dem Putzen verhielt es sich wie mit dem Krallenwetzen: Man tat etwas, dessen Abläufe automatisch, weil gewohnheitsmäßig stattfanden. Es brauchte nur ein weniges an Aufmerksamkeit, der Rest schwebte derweil frei im Raum, offen, sich mit dem zu beschäftigen, was gerade vorbeikam. Diese Methode des Nachdenkens hatte ihm Bismarck beigebracht, und seitdem hatte sie sich häufig als nützlich erwiesen.
Während Serrano seine linke Pfote von Staub reinigte, passierte allerdings noch nicht viel. Sie war ein wenig klebrig und schmeckte nach faulem Obst.
Serrano konzentrierte sich auf den vergorenen Geschmack. Er war bis in die Krallenschäfte gesickert, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, in Fruchtmatsch getreten zu sein. Dafür erinnerte er sich sehr deutlich an die Frage in Majas Augen, als sie vorhin zu ihm gekommen war, um ihn in Trudis Namen ins Katzenhaus zu bestellen. Er hatte sie ihr nicht beantworten können. Noch nicht.
Ein leises Quietschen ließ Serrano in seiner Wäsche innehalten.
An der Gartenpforte tat sich was. Wenige Sekunden später liefen ein Paar bekannte, etwas abgenutzte Schuhe an ihm vorbei, gefolgt von einem Paar fremder und einer säuerlichen Fahne. Überrascht tauchte er aus dem Rhabarber und sah Liebermann die Treppe zum vorderen Eingang des Hauses emporsteigen. Ihm folgte eine menschliche Bulldogge. Auf der Stelle vergaß Serrano sein Gedankenexperiment. Was hatte Liebermann im Revier der Dürren zu suchen?
Müller betätigte die Klingel mit der Aufschrift E. Laurent –
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