gewartet?«
Nicken.
»Für wie blöd halten Sie uns eigentlich?«, brüllte Müller sie an. »Ich will auf der Stelle diesen Mailwechsel sehen!«
Zu dritt stiegen sie hinauf ins Dachgeschoss. Als sie die letzte Treppenstufe erklommen, hob über ihren Köpfen plötzlich ein Orchester zu spielen an. Erschrocken sahen Liebermann und Müller auf. Um sie herum flirrten Geigen, zu denen sich bald darauf ein sonores Waldhorn gesellte. Die Musik schwoll an und brach mit einem hohen Ton ebenso plötzlich ab, wie sie begonnen hatte.
»Was war das?!«, stotterte Müller.
»Der Auftakt vom ›Ritt der Walküren‹«, meinte Constanze. »Unser Pausenzeichen.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, da schlugen im Stockwerk unter ihnen Türen auf. Stimmen erschollen, vereinzeltes Gelächter.
»Kommen Sie!«, sagte Constanze und hastete auf eine Tür zu.
Sie landeten in einer Dachkammer. Ein zierliches Bett mittaubenblauem Überwurf, ein Schrank gleicher Farbe und unter einer schrägen Wand mit Gaubenfenster eine Tischplatte auf zwei Schubladenelementen plus einem antiken Klavierhocker. Bis auf ein großes ungerahmtes Bild über der Schlafstatt wirkte Constanzes Unterkunft geschmackvoll funktional. Das Bild war eine Radierung oder ein Stich und zeigte eine von zwei kleinwüchsigen Männern flankierte Schönheit unter der Dusche. Über ein dunkles Fliesenband zwischen den sonst weißen Kacheln lief eine mosaikartige Aufschrift: Die Sinnlichkeit oder Bathseba. Liebermann stach sofort die Ähnlichkeit ins Auge. »Sind Sie das?«
Constanze errötete. »Ja. Ein Künstler aus der Nachbarschaft hat es gemalt, ein alter Freund der Familie. Vor ein paar Jahren war er mir bei einer Bewerbungsmappe für die Kunsthochschule behilflich, dafür hab ich ihm hin und wieder Modell gestanden. Mit der Hochschule ist es trotzdem nichts geworden«, fügte sie bedauernd hinzu.
»Er scheint Sie zu mögen«, sagte Müller mit einem glasigen Blick auf Bathsebas Busen. Constanzes Nasenflügel bebten, Schmetterlinge angesichts einer zweifelhaften Blume. »So etwas kommt vor, Herr Oberkommissar. Man nennt es Freundschaft.«
Liebermann sah, wie die Ader wieder begann, Müllers Kopf zu deformieren. Bevor sie ihre volle Ausdehnung erreicht hatte, drängte er an ihm vorbei zum Schreibtisch und bat Constanze, ihren Laptop einzuschalten.
Während der Rechner hochfuhr, stand sie vornübergebeugt am Tisch, die Ellbogen auf die Platte gestützt. Als der Bildschirm aufblinkte, trat sie stumm zur Seite.
Die beiden Polizisten nahmen ihren Platz ein. Müllers säuerlicher Geruch raubte Liebermann fast den Atem, als sie Seite an Seite die erste Nachricht lasen.
Monday, September 21 st , 12:03 PM
Liebste Cosy!
Der Gedanke an Dich bringt mich um. Es war der Schock nach der Enthüllung, Vivians Tränen und ihr Drängen auf Entscheidung, die mich solch schreckliche Dinge sagen ließen.
Ich liebe Vivian, sie war und ist mir eine gute Freundin. Aber erst jetzt begreife ich, was es bedeutet, sich nach einem Menschen zu verzehren.
Ich kann nicht in einer Welt leben, in der Du von mir getrennt bist. Nie hätte ich mich solcher Gefühle für fähig gehalten. Ich bin ein Idiot, der sein Leben lang nach Gold schürft und es wegwirft, wenn er es gefunden hat. Kannst Du mir verzeihen? Bitte sag, dass Du mir verzeihst. Gib mir ein Zeichen! Schreib mir nur ein Wort zurück, damit ich weiß, dass es Dir gutgeht und Du mich nicht hasst. Aber ruf mich nicht an, Vivian kontrolliert mein Handy. Benutze folgende Adresse, sie ist sicher:
[email protected].
Knut
Müller wurde ein paar Sekunden nach Liebermann mit dem Lesen fertig. Seine Miene drückte düstere Verachtung aus. »Cosy!«
»Na und?«, sagte Constanze zum Fenster.
»Jedem das Seine«, stimmte Liebermann zu.
Sie beugten wieder die Rücken.
Tuesday, September 22 nd , 9:46 AM
Mein Herz,
natürlich werde ich mit ihr reden. Aber lass es mich auf meine Weise tun. Ich möchte Vivian nicht vor den Kopf stoßen, sie kann ja nichts für unsere Liebe. Genauso wie wir nichts dafür können, dass wir füreinander bestimmt sind. Bis Du mir über den Weg gelaufen bist, war ich in einem Käfig gefangen, dessen ich erst gewahr wurde, als Du mich aus ihm befreit hast.
Es muss die reine Angst vor dem Glück gewesen sein, dass ich inihn zurückgekehrt bin. Doch jetzt lasse ich Dich nie mehr gehen, mein Liebling, mein Engel, mein kleines Fellchen.
Nur ist eben Vorsicht geboten. Vivian kann über die Maßen rachsüchtig sein. Ich