Katzenmond
seiner Schlinge hängenzulassen. Doch zu seiner Überraschung stellte er fest, dass die Demütigung eines Geschlechtsgenossen, unabhängig von dessen Sympathiefaktor, ihm zusetzte. »In Anbetracht der obersten Schulregel«, sagte er deshalb, »hat Dr. Kaiser Sie hier wohl nur selten besucht?«
Jetzt war es Constanze, die errötete. »Männer haben hier keinen Zutritt. Bis auf den Gärtner und David und Timm, unsere Probanden.«
Timm. Irgendwo in Liebermanns zerebralem Sperrmüll stieß der Name auf Widerstand. Er bat Constanze, den Probanden zu beschreiben, was sie bereitwillig tat.
»Groß und kräftig. Er rasiert sich den Kopf, obwohl es nicht so aussieht, als müsste er eine Glatze kaschieren.« Sie überlegte. »Meist trägt er Lederhosen und T-Shirt, außer wir üben Empfänge, dann besteht Anzugpflicht.«
In Liebermanns Erinnerung klickte wieder etwas. Die Strandbar, ein junger Mann mit Zeitung, der sich, ohne zu bezahlen, davongestohlen hatte. »Danke, ich glaube, ich weiß Bescheid.«
Constanze neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Kennen Sie Timm?«
»Flüchtig«, erwiderte Liebermann verlegen. »Ich wohne hier in der Gegend.«
»Ach. Dann wissen Sie vielleicht, dass er nicht gerade den Humor erfunden hat. Aber er ist zuverlässig und hat ein Auge fürs Detail.«
»Darin stehen Sie ihm in nichts nach. Gibt es bei zwei männlichen Probanden keine Probleme in Bezug auf Regel Nummer eins?«
»Bisher nicht.«
Von fern drang das Mittagsläuten der Erlöserkirche herüber. Liebermann beschloss, die Zügel ein wenig anzuziehen. »Wann und wo haben Sie Dr. Kaiser zum letzten Mal gesehen?«
Angesichts des plötzlichen Themenwechsels krampfte Constanze van Hoefens Hand sich erneut um das Taschentuch. »Am Montag vor zwei Wochen. Wir waren spazieren.«
»Wo?«
»Unten an der Havel.«
»Blödsinn!«, schnarrte Müller dazwischen. »Sie wollen unsdoch wohl nicht weismachen, dass ein Spaziergang das Ende der Fahnenstange war. Also, was weiter?«
Constanzes Lippen bebten. Sie stopfte das Taschentuch in die Hosentasche und die Hände gleich mit. Vorbereitung zum Gegenangriff, dachte Liebermann, der sich verschwommen an eine ähnliche Haltung bei Nico erinnerte. War schon eine Weile her, aber damals hätte er mit der Spitzhacke auf sie losgehen können, es hätte nichts gebracht. »Wenn ich es richtig verstehe, möchte Oberkommissar Müller nur sichergehen, dass diesem letzten Spaziergang nicht zufällig noch ein allerletzter gefolgt ist«, sagte er. »Zum Beispiel am vergangenen Mittwoch.«
Die junge Frau verlor ein wenig an Spannkraft. Ihre Arme fielen herab und wirkten plötzlich, da sie die Hände noch immer in den Taschen hatte, wie die Ärmel eines leeren Pullovers.
»Sie haben zugegeben, dass Dr. Kaiser den Kontakt mit Ihnen nach der Trennung wiederaufgenommen hat«, erinnerte Liebermann sie. »Und unserer Rechnung nach müsste das nach jenem Spaziergang gewesen sein.«
Sie blickte zur Decke hinauf, wo ein vielarmiger Lüster sich krakenartig in alle Richtungen schlängelte. »Kontakt aufnehmen und sich treffen sind zwei verschiedene Dinge.«
An Müllers Schläfe trat eine Ader hervor. »Soll das heißen, dass Sie es nach der rührenden Wiedervereinigung bei Briefchen belassen haben?«
Die junge Frau stand auf, wobei sichtbar wurde, dass sie den Oberkommissar um einige Zentimeter überragte. Einige Sekunden lang starrte sie Müller an, als überlege sie, ob dieser physische Vorteil ihr von Nutzen sein könnte, dann seufzte sie und wandte sich an Liebermann. »Er ist nicht gekommen.«
»Sie waren also noch einmal verabredet?«
»Ja. Nein, zuerst habe ich abgelehnt. Er wollte aber unbedingt, so dass ich schließlich nachgegeben habe. Und dann ist er nicht gekommen.«
Liebermann neigte sich ihr entgegen. »Warum haben Sie zuerst abgelehnt?«
Sie ließ den Kopf hängen. »Weil es sinnlos war. Knut hatte seine Familie, und ich habe Regeln, an die ich mich halten muss. Es gab keine … Zukunft für uns.«
Liebermann fiel etwas anderes ein. »Auf welche Weise hat Kaiser den Kontakt zu Ihnen erneuert?«
Sie nahm die Hände wieder aus den Taschen. Ihre Fingernägel waren etwas kürzer als die von Elsa Laurent, wenn auch immer noch länger als Nicos, die die ihren immer bis auf das Fleisch herunterschnitt.
»Zuerst hat er mir Blumen geschickt. Dann Mails. In der vorletzten hat er das Treffen vorgeschlagen.«
»Das Sie abgelehnt haben.«
Sie nickte.
»Und dann haben Sie auf ihn
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