Katzenmond
Liebermann. Er wandte sich an Simon, der unglücklich in einem Stück Pflaumenkuchen herumstocherte. »Hat Ihr Ausflug ins Persius-Hotel etwas gebracht?«
Der Anwärter legte den Löffel nieder und zog ein Blatt aus seinem Stapel. »Na ja, also die haben da Zander. Aber statt Gurkensalat servieren sie etwas dazu, das sich ›Insalata verde‹ nennt. Und es gibt auch keinen Grießpudding mit Beerenkompott. Außerdem ist weder dem diensthabenden Portier noch dem Kellner letzten Mittwoch ein ungewöhnlicher Gast aufgefallen. Im Segelclub nebenan gibt es nur Gegrilltes, und das auch nur am Wochenende, jedenfalls habe ich mir das aus dem zusammengereimt, was dieser …« Der Satz lief in einem Gemurmel über brandenburgische Verstocktheit aus. Offenbar war Simon im Club auf dieselben Männer getroffen wie Liebermann.
»Vergiss den Club und das Hotel, und hol dir dein Beerenkompott in der Möwe ab!«, knurrte Müller.
»Möwe?«, fragte Simon verwirrt. »Meinen Sie dieses kleine Ding im Yachthafen?«
Liebermann hielt zwei Kreidestückchen aneinander, um zu sehen, ob sie passten. »Oberkommissar Müller vermutet, dass Kaiser die Tollkirschen dort serviert bekommen hat.« Sie passten nicht.
»Aus gutem Grund«, bellte Müller. »Oberkommissar Müller hat nämlich die Ohren offen gehalten, während Hauptkommissar Liebermann im Gesäusel einer kleinen Liebesschülerin eingedöst ist.«
Liebermann legte eines der unpassenden Kreidestücke beiseite. Der andauernde Zorn des Oberkommissars ermüdete ihn. Mit dem verbliebenen Kreidestück schrieb er Constanze van Hoefen an die Tafel. Simon und Jana betrachteten den Schriftzug ehrfürchtig.
»Exotisch«, sagte Simon. »Ist das Kaisers Geliebte?«
»Exgeliebte.«
»Da habt ihr’s!«, schnaubte Müller.
»Exgeliebte, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist«, beharrte Liebermann und umriss kurz die vier Befragungen desVormittags. Die Folge war, dass Simon und die junge Kommissarin verstohlene Blicke wechselten.
»Nun«, meinte Simon. »Man kann nicht direkt behaupten, dass die van Hoefen kein Motiv hatte.«
»Nein«, stimmte Liebermann zu. »Nur welches? Schließlich wollte Kaiser sich wieder mit ihr versöhnen.«
»Was«, sagte Jana behutsam, »wenn ihr nach der Trennung etwas aufgegangen ist? Schließlich hat sie für Kaiser wochenlang einen Rauswurf aus dem Seminar riskiert. Kaum knistert’s aber mal ein bisschen in seiner Ehe, macht er von einer Sekunde auf die andere mit ihr Schluss. Ein paar Tage später kommt er reumütig wieder angekrochen, vermutlich, weil sich die Wellen zu Hause gelegt haben. Und zwar abermals ohne Rücksicht auf die Schulregeln, denn das vorgeschlagene Mittagessen hätte die van Hoefen ja zu einer Ausrede gezwungen, verbunden mit der Gefahr, zufällig entdeckt zu werden, und dann: Adieu, Aphrodite. So etwas realisiert man manchmal erst, wenn man aus dem Liebeswahn aufwacht.« Sie verstummte und errötete bis unter die Wurzeln ihres Ponys.
Die drei Männer schwiegen betreten.
»Und die Folge eines solchen Erwachens«, fragte Liebermann endlich, »wäre gewesen, den feigen Geliebten aus dem Weg zu räumen?«
»So etwas soll es schon gegeben haben«, murmelte die Kommissarin. »Zählt zu den Leidenschaftsmorden.«
Liebermann wog sein Kreidestück in der Hand. Wie leicht es war. Und warum, verflixt, passte es nicht an das andere? Es hatte direkt neben ihm gelegen, und abgesehen davon gab es keine weitere Kreide im Raum.
»Letztes Jahr hatten wir zwei Totschläge aus Leidenschaft«, sagte Simon. »In beiden Fällen wollten Ehefrauen ihre Männer verlassen, die eine wegen eines Liebhabers, die andere einfach so.«
Liebermann schüttelte den Kopf. »Hier haben wir es nicht mit Totschlag, sondern mit einem umsichtig geplanten Mord zu tun. Und außerdem ist das Opfer ein Mann.«
»Als ob Frauen keine Morde begehen würden«, knurrte Müller.
»Das habe ich nicht gesagt. Aber wie oft kommt es vor, dass ein Geliebter umgebracht wird, weil er sich entschließt, in seine Ehe zurückzukehren? Ich kenne keinen solchen Fall. Und ich vermute, das liegt daran, dass eine verschmähte Geliebte neben ihrer Verletztheit noch immer einen tief in unserer Moral verwurzelten Gerechtigkeitssinn hat. Liebe hin oder her, solange die Beziehung illegitim ist, ist sie der Fehler in der Vita des Mannes, und auf dem Grund ihres Herzens weiß sie, dass es nicht an ihr ist, ihn dafür zu bestrafen.«
»Was ist übrigens mit der Ehefrau?«, fragte Kommissarin Holzmann
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