Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
unter dem Einfluss von Mr. Daniels’ »weißem Bidi«, hatte zur Folge, dass wir nichts anderes tun konnten als mürrisch herumzuschleichen und so zu tun, als wollten wir in das Wasser springen. In unserem Hauptquartier im Turbinenraum nahmen wir uns vor, alles über die Passagiere am Katzentisch herauszufinden und alles, was wir in Erfahrung brachten, den anderen mitzuteilen. Cassius berichtete, dass Miss Lasqueti, die bleiche Frau, die beim Essen neben ihm saß, zufällig oder absichtlich mit dem Ellbogen gegen seinen Penis gestoßen sei. Ich sagte, Mr. Mazappa, der als Sunny Meadows mit schwarzgerandeter Brille auftrat, trage sie nur deshalb, um verlässlicher und philosophischer zu wirken. Er hatte die Brille aus der Brusttasche genommen und sie mir gezeigt, um zu demonstrieren, dass es sich nur um Fensterglas handelte. Wir hatten alle den Eindruck, dass Mr. Mazappas Vergangenheit reichlich mysteriös gewesen sein müsse. »Wie die Redewendung sagt, habe ich mich schon so manches Mal an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen«, lautete eines seiner Lieblingsfazits am Ende einer Anekdote.
Während einer unserer endlosen Palaver im Turbinenraum sagte Cassius: »Erinnerst du dich an die Scheißhäuser im St. Thomas’ College?« Er lehnte sich gegen eine Schwimmweste und nuckelte Kondensmilch aus der Dose. »Weißt du, was ich vorhabe, bevor ich dieses Schiff verlasse? Ich werde in die emaillierte Kloschüssel des Kapitäns kacken, das kannst du mir glauben.«
Ich verbrachte wieder mehr Zeit mit Mr. Nevil. Er zeigte mir auf den Blaupausen des Schiffs, die er immer bei sich hatte, wo die Ingenieure aßen und schliefen und wo der Kapitän untergebracht war. Er zeigte mir, wie die elektrische Anlage in jedes Zimmer abzweigte und wie sogar Maschinen, die nicht zu sehen waren, die unteren Ebenen der Oronsay durchzogen. Das war mir bereits aufgefallen. In meiner Kabine rotierte hinter einer Wandverkleidung ununterbrochen eine Antriebswelle, und oft legte ich die Handfläche an das ständig warme Holz.
Am schönsten war es, wenn Mr. Nevil mir aus seiner Zeit als Schiffsabwracker erzählte, schilderte, wie ein Ozeandampfer auf einem Schrottplatz in Tausende unidentifizierbarer Einzelteile zerlegt wurde. Mir wurde klar, dass ich diesen Vorgang am anderen Ende des Hafens von Colombo gesehen hatte, als dort das Schiff abgefackelt worden war. Es wurde zu wiederverwertbarem Metall eingedampft, so dass der Schiffsrumpf zu einem Lastkahn umgebaut oder der Schornstein zur Innenverkleidung für einen Wassertank plattgehämmert werden konnte. In allen Häfen, sagte Mr. Nevil, wurde in der entferntesten Ecke dieses Werk der Zerstörung verrichtet. Legierungen wurden getrennt, Holz wurde verbrannt, Gummi und Plastik wurden zu Platten geschmolzen und vergraben. Aber Porzellan, Armaturen und elektrische Leitungen wurden ausgesondert und wiederverwertet, und unter Mr. Nevils Mitarbeitern stellte ich mir eine Mannschaft vor, die von Muskelmännern, die mit schweren Holzhämmern Wände einschlugen, bis zu denjenigen reichte, die den Auftrag hatten, metallene Leitungen, kleine elektrische Bauteile und Türschlösser aus dem Schrott zu zupfen und zu sammeln, als wären sie Krähen. Innerhalb eines Monats konnten sie ein Schiff auseinandernehmen, bis nur noch das Gerippe im Schlamm einer Flussmündung übrig war wie Knochen für einen Hund. Mr. Nevil hatte diese Tätigkeit in der ganzen Welt ausgeübt, von Bangkok bis nach Barking. Und nun saß er neben mir, entsann sich der Häfen, in denen er irgendwann einmal gelebt hatte, und rollte ein Stück blaue Kreide zwischen den Fingern, unversehens in Gedanken verloren.
Es sei, murmelte er, natürlich ein gefährliches Gewerbe. Und es sei schmerzlich zu erkennen, dass nichts von Bestand sei, nicht einmal ein Ozeandampfer. »Nicht einmal die Triere!« sagte er und stupste mich an. Er hatte mitgeholfen, die Normandie abzuwracken – »das schönste Schiff, das je gebaut wurde« –, die verkohlt halb im Wasser des Hudson in Amerika gelegen hatte. »Aber auf gewisse Weise war sogar das schön … denn auf einem Schrottplatz entdeckt man, dass alles ein neues Leben haben kann, als Bestandteil eines Autos, als Eisenbahnwaggon oder als Blatt einer Schaufel wiedergeboren werden kann. Man nimmt das vorherige Leben und verknüpft es mit etwas Fremdem.«
Miss Lasqueti
MISS LASQUETI WURDE VON FAST ALLEN am Katzentisch als potentielle alte Jungfer betrachtet und von uns dreien als Person mit
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