Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
uns nicht, nur der Gefangene. Er knurrte drohend und wendete sich ab. Wir waren vielleicht ein gutes Dutzend Meter entfernt, und er trug Handschellen, aber er versetzte uns in Furcht und Schrecken.
Ein Zauber
WENN UNSERE REISE NACH ENGLAND in den Zeitungen jener Tage vorkam, dann wegen der Anwesenheit des Philanthropen Sir Hector de Silva auf der Oronsay . Er war mit einem Gefolge an Bord gekommen, zu dem zwei Ärzte zählten, ein ayurvedischer Heiler, ein Rechtsanwalt sowie Sir Hectors Ehefrau und seine Tochter. Die meisten von ihnen blieben in den oberen Gefilden des Ozeandampfers, und wir sahen sie nur selten. Keiner aus de Silvas Entourage nahm die Einladung an, am Tisch des Kapitäns zu speisen. Es hieß, sie seien sich selbst dafür zu gut. Aber der wahre Grund war der, dass Sir Hector, ein Unternehmer aus Moratuwa, der mit Edelsteinen, Kautschuk und Landkauf reich geworden war, inzwischen an einer möglicherweise tödlichen Krankheit litt und nach Europa fuhr, weil er einen Arzt suchte, der ihn vielleicht retten konnte.
Kein einziger englischer Facharzt war bereit gewesen, nach Colombo zu kommen, um Sir Hectors Fall zu behandeln, obwohl erkleckliche Honorare angeboten worden waren. Harley Street blieb in der Harley Street, ungeachtet einer Empfehlung des britischen Gouverneurs, der mit Sir Hector in dessen Herrenhaus in Colombo gespeist hatte, und ungeachtet des Umstands, dass Sir Hector in England für seine großzügigen Zuwendungen an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen zum Ritter geschlagen worden war. Und deshalb befand er sich nun in dem Kokon einer großen Doppelsuite auf der Oronsay und litt an Tollwut. Anfangs machten wir uns keine Gedanken über Sir Hectors Leiden. Seine Anwesenheit an Bord des Schiffs war kein Gesprächsthema für die Reisenden am Katzentisch. Sein immenser Reichtum hatte ihn berühmt gemacht, und so etwas interessierte uns nicht. Doch als wir die Hintergründe seiner schicksalhaften Reise erfuhren, wurden wir neugierig.
Es war so gewesen: Eines Morgens hatte Sir Hector mit Freunden auf seinem Balkon gefrühstückt. Sie tauschten Scherze, wie es Menschen zu tun pflegen, die sicher und behaglich leben. In diesem Augenblick ging ein ehrwürdiger battaramulle – ein heiliger Priester – an dem Haus vorbei. Als Sir Hector den Mönch erblickte, erlaubte er sich ein Wortspiel und sagte: »Ach, da geht ja ein muttaraballa vorbei.« Muttara heißt »urinieren«, balla heißt »Hund«. Ein »urinierender Hund« ging vorbei.
Die Bemerkung war schlagfertig, aber unangebracht. Der Mönch hatte die Beleidigung gehört, er blieb stehen, deutete auf Sir Hector und sagte: »Ich werde dir einen muttaraballa schicken …« Nach welchen Worten der ehrwürdige Alte, der im Ruf stand, ein praktizierender Hexer zu sein, geradewegs in den Tempel ging, wo er mehrere Mantras rezitierte und so das Schicksal Sir Hector de Silvas besiegelte und ihm sein komfortables Leben vergällte.
Ich weiß nicht mehr, wer uns den ersten Teil dieser Geschichte erzählt hat, aber sie machte jedenfalls Cassius, Ramadhin und mich so neugierig, dass der Millionär in der Luxusklasse unsere Gedanken sofort beschäftigte. Von da an waren wir emsig bestrebt, soviel wie möglich über ihn herauszufinden. Ich schrieb sogar meiner vermeintlichen Aufsichtsperson Flavia Prins, und sie traf sich kurz mit mir an der Grenze zur ersten Klasse und sagte, sie wisse nichts darüber. Sie war verärgert, weil in meiner Notiz von einem dringenden Problem die Rede gewesen war und ich sie bei einer ihrer wichtigen Bridge-Runden unterbrochen hatte. Unsere Schwierigkeit war die, dass die anderen am Katzentisch wenig über die Angelegenheit sprachen. Zuwenig für unseren Geschmack. Und deshalb pirschten wir uns zu guter Letzt an den Zweiten Purser heran (der, wie Ramadhin feststellte, ein Glasauge hatte), und er konnte uns weitgehend aufklären.
Einige Zeit nach dem Zwischenfall mit dem ehrwürdigen Passanten kam Sir Hector die Treppe seines großen Hauses hinunter. (Der Zweite Purser drückte es mit den Worten aus, er sei die Treppe »hinuntergeklettert«.) Am Fuß der Treppe wartete sein Terrierhündchen, um ihn zu begrüßen. Völlig alltäglich. Der Hund war bei allen Familienmitgliedern beliebt. Als Sir Hector sich bückte, schnappte das liebe Tier nach seinem Hals. Sir Hector schubste den Hund weg, und da biss der Hund ihn in die Hand.
Zwei Hausangestellte konnten den Hund überwältigen und sperrten ihn in einen Zwinger.
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