Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Während der Hund eingesperrt wurde, verarztete ein Verwandter die Bisswunde. Offenbar hatte der Terrier sich schon den ganzen Morgen über seltsam aufgeführt, war in der Küche den Dienstboten vor die Füße gerannt und war mit einem Besen aus dem Haus gejagt worden, woraufhin er still und leise zurückgeschlichen war, um seinen Herrn am Fuß der Treppe zu erwarten. In der Küche hatte der Hund niemanden gebissen.
Später am Tag kam Sir Hector an dem Hundezwinger vorbei und drohte dem Tier mit seinem verbundenen Finger. Vierundzwanzig Stunden später starb der Hund und zeigte alle Anzeichen von Tollwut. Mittlerweile hatte der »urinierende Hund« seine Botschaft unmissverständlich hinterlassen.
Sie kamen einer nach dem anderen. Jeder angesehene Arzt von Colombo 7 wurde geholt, um seine Meinung über eine Behandlung zu äußern. Sir Hector war der reichste Mann der Stadt (abgesehen von einzelnen Waffenschmugglern und Edelsteinschiebern, über deren Vermögensverhältnisse nur spekuliert werden konnte). Die Ärzte unterhielten sich im Flüsterton, wenn sie die langen Flure in seinem Haus entlanggingen, und debattierten spitzfindig über die Möglichkeiten, etwas gegen die Tollwut zu unternehmen, während die Krankheit bereits den Körper des reichen Mannes im Obergeschoss zu zeichnen begann. Der Virus bewegte sich mit fünf bis zehn Millimetern in der Stunde auf andere Zellen zu; erste Symptome wie Brennen, Juckreiz und Taubheit an der Bisswunde traten auf, doch die schweren Anzeichen der Tollwut zeigten sich noch nicht. Da dem Patienten kräftigende Mittel verabreicht wurden, konnte die Erkrankung sich bis zu fünfundzwanzig Tage hinziehen, bevor sie tödlich endete. Der Terrier wurde ausgegraben und ein weiteres Mal auf Tollwut untersucht. Telegramme gingen nach Brüssel, Paris und London. Und auf der Oronsay , dem nächsten Schiff, das nach Europa fahren würde, wurden sicherheitshalber drei Luxuskabinen gebucht. Das Schiff würde in Aden, Port Said und Gibraltar anlegen, und man hoffte, dass an wenigstens einem dieser Orte ein Spezialist an Bord kommen könnte.
Es gab jedoch auch die Ansicht, Sir Hector solle zu Hause bleiben, da anzunehmen sei, dass sein Zustand sich im Verlauf einer möglicherweise stürmischen Schiffsreise mit minimaler medizinischer Versorgung verschlechtern müsse, ganz abgesehen davon, dass als Schiffsarzt in der Regel ein achtundzwanzigjähriger zweitklassiger Assistenzarzt fungierte, dem seine Familie den Posten durch Beziehungen zur Orient Line verschafft hatte. Ayurvedische Heiler kamen inzwischen auch in hellen Scharen aus der Gegend um Moratuwa, wo de Silvas Familie seit über einem Jahrhundert als walauwa bekannt war, denn sie wollten Tollwutkranke geheilt haben. Sie behaupteten, wenn Sir Hector auf der Insel bleibe, seien ihm die wirkkräftigsten Kräuter des Landes leichter zugänglich. Sie sprachen wortgewaltig in den alten Dialekten, mit denen er seit Kindertagen vertraut war, und sagten, die Reise werde ihn von diesen machtvollen Kraftquellen entfernen. Da die Ursache seiner Erkrankung örtlicher Natur war, müsse auch das Gegenmittel an diesem Ort gefunden werden.
Zuletzt beschloss Sir Hector doch, nach England zu fahren. Zusammen mit dem Erwerb seines Reichtums hatte er auch den unverrückbaren Glauben an die Fortschrittlichkeit Europas angenommen. Vielleicht sollte sich das als fataler Fehler erweisen. Die Reise auf dem Schiff dauerte einundzwanzig Tage. Er nahm an, dass er unverzüglich von den Decks in Tilbury zum besten Arzt in der Harley Street gebracht werden würde, wo, wie er glaubte, eine andächtige Menge vor dem Haus warten würde, darunter vielleicht einige Ceylonesen, die von seinem sagenhaften Reichtum wussten. Hector de Silva hatte einen einzigen russischen Roman gelesen, und er konnte sich alles lebhaft vorstellen, während sich eine Behandlung in Colombo auf primitive Hexerei, Astrologie und Pflanzenkunde zu beschränken schien. Als junger Mann hatte er von einzelnen lokalen Heilmethoden gehört, der beispielsweise, dass man schnell auf den Fuß pinkeln musste, um den Schmerz zu lindern, den Furchenschnecken verursachten. Jetzt wurde ihm gesagt, gegen den Biss eines tollwütigen Hundes müsse man die Samen des schwarzen ummattaka oder Stechapfels in Kuhpisse einweichen, zu einer Paste reiben und dann einnehmen. Vierundzwanzig Stunden später sollte er ein kaltes Bad nehmen und Buttermilch trinken. In allen Landesteilen wimmelte es von derartigen Rezepten.
Weitere Kostenlose Bücher