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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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sei athletisch gebaut. Er ging mit mir zu seiner Tür und zeigte mir das Fensterchen darüber. Es war rechteckig und konnte mit einem kleinen Riegel gesichert werden. Im Augenblick lag die Glasscheibe waagerecht, flach wie ein Tablett, so dass die Luft zirkulieren konnte.
    »Meinst du, du kannst da hindurchkriechen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, verschränkte er die Hände zu einer Räuberleiter und forderte mich auf, darauf zu steigen und von dort auf seine Schultern. Ich befand mich fast zwei Meter über dem Fußboden. Ich kroch in die Fensteröffnung, achtete darauf, weder dem Glas noch dem Holzrahmen zu nahe zu kommen, und hatte Angst, auf der anderen Seite hinunterzufallen. Als weiterer Schutz waren zwei Stäbe waagerecht vor der Öffnung befestigt. Der Baron wies mich an, meinen Körper dazwischen hindurchzuschlängeln, aber es war unmöglich.
    »Hat keinen Sinn. Komm runter.« Ich kniete mich wieder auf seine Schultern, hielt mich an seinem pomadisierten Haar fest und kletterte hinunter in dem undeutlichen Gefühl, ihn im Stich gelassen zu haben, insbesondere nach der Bewirtung mit Eis und Tee.
    »Ich muss es mit jemand anders probieren«, murmelte er wie im Selbstgespräch, als wäre ich gar nicht mehr anwesend. Und angesichts meiner Enttäuschung sagte er dann: »Schade, tut mir leid.«
    Am nächsten Tag sah ich den Baron am Schwimmbecken mit einem anderen Jungen sprechen, der ihn kurz darauf zum Oberdeck begleitete. Der Junge war kleiner als ich, aber offenbar weniger athletisch , denn nach knapp einer Stunde kam der Junge zurück und redete von nichts anderem als von dem Tee und den Keksen, die er bekommen hatte. Und etwa einen Tag später lud mich der Baron wieder in seine Kabine ein, damit ich noch einmal durch das Fenster zu klettern versuchte. Er sagte, er habe eine neue Idee. Als wir an dem Steward vorbeigingen, der den Eingang zur ersten Klasse bewachte, sagte der Baron: »Mein Neffe, er besucht mich zum Tee.« Und schon schlenderte ich ganz legal über die Teppiche der Lounge und hielt Ausschau nach Flavia Prins, denn das hier war auch ihr Reich.
    Der Baron hatte mir gesagt, ich solle meine Badesachen anziehen, und als ich meine übrige Kleidung auszog, holte er ein Kännchen mit Motoröl hervor, das er sich aus dem Maschinenraum beschafft hatte, und ich musste mich vom Hals bis zu den Füßen mit der schwarzen Schmiere einreiben. Dann wurde ich erneut zu dem offenen Fenster mit den zwei horizontalen Stäben hochgestemmt. Und eingeölt glitt ich diesmal hindurch wie ein Aal und ließ mich hinter der Tür im Korridor auf den Boden fallen. Ich klopfte, und er machte mir auf. Er grinste.
    Er gab mir einen Bademantel, und wir gingen den leeren Flur entlang. Er klopfte an eine Tür; als niemand antwortete, stemmte er mich mit den Handflächen hoch, und diesmal schlüpfte ich andersherum durch das offene Fenster in eine Luxuskabine hinein. Ich schloss die Tür von innen auf, der Baron kam herein und tätschelte mir den Kopf. Er setzte sich kurz in einen Sessel und zwinkerte mir zu. Dann stand er auf, begann das Zimmer zu inspizieren und öffnete verschiedene Schubladen. Nach wenigen Minuten waren wir draußen.
    Wenn ich zurückdenke, könnte ich mir vorstellen, dass er mir eingeredet hatte, das Einbrechen und Eindringen wäre ein Spiel zwischen ihm und Freunden, denn er wirkte entspannt und freundlich. Er wanderte durch eine Suite, die Hände nonchalant in den Hosentaschen, während er Gegenstände auf einem Regal oder auf einem Tisch ansah oder in weitere Räume spähte. Ich erinnere mich, dass er einmal einen großen Packen Papiere fand, den er in eine Sporttasche steckte. Ich sah auch, wie er ein Messer mit silberner Klinge einsteckte.
    Während er dieser Tätigkeit nachging, sah ich meistens aus einem der Bullaugen auf das Meer. Standen sie offen, hörte ich die Rufe der Wurfspieler von einem tieferen Deck. Das und der Umstand, mich in einer so großen Kabine zu befinden, war das Aufregende an der Situation für mich. Die Kabine, die ich mit Mr. Hastie teilte, hatte in etwa die Ausmaße des Betts einer Luxuskabine. Ich betrat ein spiegelverkleidetes Badezimmer und sah auf einmal zurückweichende Abbilder von mir, halbnackt, von schwarzem Öl bedeckt, nichts als ein braunes Gesicht und strubbelige Haare. Im Spiegel gab es einen wilden Jungen, jemanden aus dem Dschungelbuch , dessen Augen, weiß wie Lampen, mich beobachteten. Das war, wie mir scheint und wie ich mich zu entsinnen glaube, die erste

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