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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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ihnen liegt die Jagdhündin, mit bebenden Ohren und am ganzen Körper zitternd, als würde ihr Herz gleich aussetzen oder ihr aus dem Leib gerissen. Im Zwielicht solcher Stürme sieht ihr Gesicht aus wie in die Geschwindigkeit eines Raumfahrtexperiments versetzt, die sonst schönen Züge verzerrt. Und während die anderen schlafen, vom Toben der Natur gewiegt, ist nur der Fluss unten unverändert. In den grellen Blitzen sind bis zum Horizont gekenterte Bäume zu sehen, in biblischem Zorn geschüttelt. Das passiert jeden Sommer mehrere Male. Ich rechne mit dem Kommen des Donners und richte mich darauf ein, zusammen mit der Hündin, der bezaubernden Jägerin.
    Natürlich gibt es für all dies einen Grund. Schließlich war ich an jenem schwankenden, unsicheren Ort ohne Fundament, von wo aus es viele Klafter tief nach unten geht. Und so viele Jahre später fällt mir die Nacht mit Cassius wieder ein, als wir uns am Schiffsdeck hatten festbinden lassen in Erwartung dessen, was wir für ein aufregendes Abenteuer hielten.
     
    Vielleicht lag es daran, dass der Film uns enttäuscht hatte. Ich kann nicht erklären, warum wir taten, was wir taten. Vielleicht geschah es nur, weil es das erste Mal sein würde, dass wir einen Sturm auf See erlebten. Nachdem der Projektor weggebracht worden war und die Stühle aufeinandergestellt worden waren, gab es plötzlich auf dem Meer und am Himmel über uns eine Flaute. Und obwohl gesagt worden war, dass der Radarschirm einen nahenden zweiten Sturm anzeigte, hatten die Winde sich gelegt, und wir hatten genug Zeit, uns vorzubereiten.
    Es war natürlich Cassius, der mich zu einem Logenplatz für das Unwetter überredet hatte. Wir besprachen es bei den Rettungsbooten. Ramadhin wollte nicht mitmachen, aber er bot uns seine Hilfe beim Vorbereiten an. Am Tag zuvor hatten wir in einem Geräteraum, der während der Sicherheitsübungen offengeblieben war, Taue und Takelwerk gefunden. Und an diesem Abend wanderten wir in der Windstille, als die meisten anderen Passagiere in ihre Kabinen gegangen waren, das offene Promenadendeck zum Bug entlang und suchten uns verlässliche Gegenstände, an denen wir uns festbinden konnten. Wir hörten, dass der Kapitän eine Sturmbö von fünfzig Knoten erwartete und allen empfahl, mit dem Schlimmsten zu rechnen.
    Cassius und ich lagen nebeneinander auf dem Rücken, und Ramadhin begann uns mit den Tauen an V-förmigen Krampen und einem Poller festzubinden. Er beeilte sich, denn er sah den Sturm kommen. Er tastete im Dunkeln nach seinen Knoten und ließ uns dann liegen, Arme und Beine ausgebreitet und gefesselt. Niemand war an Deck, und eine Zeitlang passierte gar nichts, es regnete bloß ein bisschen. Vielleicht hatte sich der Wind gedreht. Doch dann peitschte der Sturm auf uns ein und verschlug uns den Atem. Wir mussten den Kopf abwenden, um Luft zu holen, während der Wind uns wie Eisen umschloss. Wir hatten uns vorgestellt, dass wir daliegen und staunend über die Blitze des Sturms hoch über uns plaudern würden; statt dessen wurden wir von dem Wasser ringsum fast ertränkt – Regen und Meerwasser, das über die Reling hereinschwappte und sich strudelnd über das Deck ergoss. Blitze beleuchteten den Regen in der Luft, bevor es wieder finster wurde. Ein loses Seil klatschte mir gegen den Hals. Ohrenbetäubendes Getöse. Wir hätten nicht sagen können, ob wir schrien oder es nur versuchten.
    Bei jeder hereinbrechenden Welle klang es, als würde das Schiff gleich bersten, und bei jeder Welle wurden wir in das Wasser getaucht, bis das Schiff sich wieder aufrichtete. Ein stetiger Rhythmus machte sich bemerkbar. Sobald das Schiff in das heranstürmende Meer eintauchte, wurden wir von der Brandung herumgewirbelt, atemlos, und das Heck ragte in die Luft, die aus ihrem Element gerissenen Propeller jaulten, bis sie wieder ins Meer zurückgetaucht wurden, und wir am Bug wurden wie Marionetten hochgeworfen.
    In diesen wenigen Stunden, in denen wir auf dem Promenadendeck der Oronsay lagen und dachten, wir hätten unser Leben verwirkt, verschmolz alles miteinander. Ich war etwas Undefinierbares in einem Gefäß, außerstande, dem, was da geschah, zu entrinnen. Mein einziger Trost war, dass ich nicht allein war. Cassius war bei mir. Ab und zu drehten wir gleichzeitig den Kopf, wenn es blitzte, und sahen das stumpfe, verwaschene Gesicht des anderen. Mir war, als wäre ich für immer gefangen. Wenn das Schiff erst seinen Bug abwärts richten und dann untergehen würde, von

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